Still ist es um sie geworden, zumindest in einigen Bereichen. Denn es gibt mehrere Arten der Präsenz oder der Abwesenheit. Ihre hierzulande und auch international vielgespielten Werke sprechen weiterhin eine klare, ungeheuerliche Sprache, sie haben nichts an Wucht und teils höhnischer, teils gnadenloser Demaskierung verloren.

Aber als zweifellos bedeutsamste Schriftstellerin dieses Landes, mehr noch, der europäischen Gegenwartsliteratur, setzte sie, vor fast 30 Jahren schon, konsequent in die Tat um, wonach sich etliche andere Autorinnen und Autoren lediglich sehnen – sie zog sich völlig zurück aus der Öffentlichkeit. In ein Refugium der Ruhe, manchmal vielleicht auch der Isolation. Ein Schweigereich für eine Dichterkönigin, die jede Krone weit wegschleudern würde, eine ganz besonders. So, wie sie es seit vielen Jahren, mit Sanftwut, schon mit ihren Theatertexten praktiziert.

Machen Sie damit, was Sie wollen„, lautet die längst legendäre Erläuterung oder Ermunterung, zu finden stets am Beginn ihrer Manuskripte. Es ist nicht das Resultat einer fast trotzig klingenden Stückweglegung, es ist ihre Art, dem von ihr Geschriebenen unverzüglich nach Vollendung freien Lauf zu lassen. Ihr Geist weht, wohin er will.
Elfriede Jelinek, die heute ihren 75. Geburtstag feiert, aber diesem Tag nach eigenem Bekunden keinerlei Bedeutung abgewinnen kann, ist eine der unbequemsten, aber auch unentbehrlichsten moralischen Instanzen dieses Landes. Nur kapieren dies etliche ihrer Gegner nicht, wohl auch, weil sie es eher mit der Doppelmoral oder der Scheinheiligkeit halten.


Als die Autorin, Forum-Stadtpark-Mitglied seit frühester Stunde, auszog, der Literatur frischen Wind, mehr noch, Wirbelwind zu verpassen, glich sie, wie Peter Handke auch, einem Popstar der Poesie. Flankiert durch den Roman „wir sind lockvögel baby!“ Das war einmal, lang, lang ist‘s her, und schön war’s auch. Selbstbewusst wirkte sie in ihrem Auftreten, aber auch scheu und zurückgezogen.

Oft und nur allzu gerne wird übersehen, wie visionär Elfriede Jelinek häufig war und ist. Wer ihre frühen Werke zur Hand nimmt, stößt immer wieder auf Themen wie die barbarische Umweltzerstörung, den Ausverkauf der Natur an Großkapitalisten und natürlich die nie restlos bewältigte Vergangenheit und den Rechtspopulismus.
Ihre Diskriminierungen mit dumpfen Begriffen wie „Nestbeschmutzerin“ nahmen auch kein Ende, als sie 2004 den Literaturnobelpreis erhielt. Im Gegenteil, sogar hierzulande war von einem „Skandal“ die Rede. Aber passend dazu ist eine schon einmal erzählte und geschriebene Episode rund um die Verleihung des wichtigsten Preises der Literaturwelt. Denn wenige Stunden nach Bekanntgabe der Jury-Entscheidung der Schwedischen Akademie waren, wie eine persönliche Umfrage ergab, zwei Romane von Elfriede Jelinek ausverkauft und, bedingt durch die Vielzahl an Vorbestellungen, auch einige Zeit nicht lieferbar; da mussten erst die Druckmaschinen wieder angeworfen werden.

Gier und Lust

Es handelte sich, für Kenner der Werke von Elfriede Jelinek eh klar, um „Gier“ und um „Lust“. Klar doch, manchmal siegt ja doch der Wille zur Korrektheit, schließlich will man doch wenigstens hin und wieder auch wissen, worüber man sich denn nun wirklich aufregt. Notgeilheit gehört offenbar auch dazu.

Aber zurück zur Jubilarin, die keine sein will. Ihre Schreibbesessenheit erklärt die Dichterin so: „Das Schreiben ist bei mir ein leidenschaftlicher Akt, eine Art Rage. Ich bin nicht jemand, der wie Thomas Mann an jedem Satz sitzt und feilt, sondern ich fetze halt herum. Das geht zwei, drei Stunden, dann falle ich zusammen wie ein Soufflé, in das man mit einer Nadel sticht...“

Elfriede Jelinek „fetzt“ noch immer. Das bewies sie zuletzt mit der schrillen Farce „Am Königsweg“, zu Papier gebracht kurz nach der Wahl von Donald Trump und das zeigte sie noch drastischer und zynischer mit „Schwarzwasser“; es war Jelineks Reaktion auf den „Ibiza“-Skandal und den politischen Machtrausch.

Zwei unter vielen Theaterstücken, aber ideal geeignet, um auch den Begriff der „Nestbeschmutzung“ kurz zu durchleuchten. Zum einem befindet sich das Nest in einem teilweise desolaten und keineswegs stubenreinen Zustand, zum anderen muss ja auch der Schmutz erst einmal von irgendwo des Weges kommen.

Müde sei sie und resignativ, sagte sie kürzlich. Es ist nachvollziehbar. Der sprachliche Widerstand gegen die Wiederkehr des Immergleichen geht an die Substanz. Aber Elfriede Jelinek ist eine unentbehrliche Seismographin und Großdichterin mit vielen Gesichtern.

Eines davon zeigt sie, zutiefst berührend, in ihrer „Winterreise“, der theatralischen Umsetzung des Schubert-Werkes, reich an sehr persönlichen Reflexionen in düstersten, traurigsten Tönen. „Was zieht da mit, was zieht da mit mir, was zieht da an mir? Mein Schatten kann es nicht sein, den hab ich ans Vorbei abgegeben“ heißt es darin. Möge der Schatten immer wieder und noch lange dem Licht und der Strahlkraft weichen.