Was für ein Aufschrei!, als Paul Anton Watzlawick das Licht der Welt erblickt. Es ist der 25. Juli 1921. Der Vater Paul senior ist Bankdirektor in Villach und geht derweil seiner ehrwürdigen Arbeit nach. Der Familienschäferhund Krimschi bewacht den Garten, und der Neuling Paul junior ist ein gesundes Baby, wie es die starken Lungen zeigen. Der wird einmal was zu sagen haben …, wird Mutter Emy bald wissen.

Hat er! Viel hatte er zu sagen in seinem abenteuerlichen Leben, der Herr Professor Watzlawick. In diesem Jahr, 2021, wäre der Weltkärntner mit Ruhm 100 Jahre alt geworden. Falls Sie in Ihren Ganglien kramen, um die Berühmtheit zu verorten bzw. verworten: Das prägnante Axiom „Man kann nicht nicht kommunizieren“ hat er formuliert. „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ und „Die Anleitung zum Unglücklichsein“ hat er verfasst, bevor sie zum Weltbestseller in Millionenauflage geworden ist. „Behalten Sie Ihren Hammer, Sie Rüpel!“, wird sich eine bekannte (Lehr-)Geschichte daraus in Ihrer Erinnerung vielleicht melden. Oder die Geschichte (einer Lösung 1. Ordnung) vom Betrunkenen, der unter einer Straßenlaterne steht und sucht und sucht. Ein Polizist kommt daher, fragt ihn, was er verloren habe, und der Mann antwortet: „Meinen Schlüssel“. Nun suchen beide. Schließlich will der Polizist wissen, ob der Mann sicher ist, den Schlüssel gerade hier verloren zu haben, und jener antwortet. „Nein, nicht hier, sondern dort hinten – aber dort ist es viel zu finster.“ Sie lächeln? Oder finden diese (nach Watzlawick) Lösung 1. Ordnung absurd? Und fragen sich nach der Moral der Geschichten, die wir irgendwie deutlich spüren und oft gar nicht so klar in Worten auf den Punkt bringen können? Der Vorteil einer solchen Suche ist nämlich, dass sie zu nichts führt, außer mehr desselben, nämlich nichts; worauf Watzlawick die Lösung 2. Ordnung auf den Plan rufen wird.

Das konnte Watzlawick – komplexe Themen humorvoll auf den Punkt bringen. Denn viel hat er erlebt in seinem bewegten Leben, um das zu lernen. Direkt von der vorgezogenen Matura musste er in den Reichsarbeitsdienst und in den Zweiten Weltkrieg. Eigentlich war es sein Traum gewesen, nach Wien zu gehen, um Medizin zu studieren; das wurde leider nix. Sein nächster Abschluss war „nur“ der Wehrmachts-Dolmetsch Deutsch–Englisch. Wortwitz und Humor der Mutter halfen ihm durch die schlimmen Kriegsjahre und waren später lebenslang sein Markenzeichen; wie bei den oft schwierigen rückbezüglichen Sei-spontan-Paradoxien im Sinne des Witzes: „Wie froh bin ich, dass ich Spinat nicht leiden kann“, so der Witzbold. „Denn schmeckte der mir, dann würde ich ihn essen – und ich hasse das Zeug!“

Mit seinen K.-u.-k-Familienwurzeln zwischen Tschechien und Italien hat er sich auch sein Sprachenkapital klug ausgesucht bzw. erlernt, was ihm später dienlich und – wenn man so will – karriereförderlich war. 1983 (mit 62 Jahren) nach seiner Lieblingstätigkeit befragt: „Und zweitens: Reisen.“ Nach seinem Lebensmotto befragt: „Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst.“ Sein größtes Unglück? „Krankheit.“ Lieblingstugend? „Sich selbst nicht allzu ernst nehmen.“ Seine Lieblingsgestalt in der Geschichte? „Siddharta Gautama Buddha.“

Der Wirklichkeitsforscher, Lehrer, Pop-Bestseller unter den Philosophen, Analytiker, Humanist, Gentleman, Visionär, Realist, Forscher, Säulenheiliger und Aufklärer – wie er im Laufe seines Lebens von Medien betitelt wurde, erfahrungsreiste von der Kommunikation über den Konstruktivismus zum Werkzeug des Zen-K(¯o)an, um schließlich zu erkennen, dass die Suche es ist, die das Finden verhindert. Dass er „einfach ganz gut kommunizieren kann“, entdeckte er, als er im Territorio Libero di Trieste nach dem Krieg eine Anstellung als Assistent bei Interpol fand, die ihm sein Studium der Sprachen und Philosophie in Venedig finanzierte. Er machte dabei eine für ihn interessante Entdeckung: „Die Menschen sagten mir Dinge, machten zum Beispiel Geständnisse, und ich wusste nicht einmal, warum, denn das lag ja gar nicht im Interesse des Betreffenden. Es passierte irgendwie, durch die Weise, wie ich mit ihnen sprach, ganz ohne Drohungen.“ Damals hielt Watzlawick die Kriminalistik für ein überaus interessantes Fach für seine zukünftige Laufbahn. Dann kam alles anders.

Sein erstes Buch, „Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien“ (1967), welches in Palo Alto im Kontext der Schizophrenieforschung entstand, ist inzwischen ein Klassiker der (systemischen) Kommunikationswissenschaften geworden. „Man kann nicht nicht kommunizieren“, lautet das erste Axiom. Die wichtige Erkenntnis der Meta-Kommunikation – der Kommunikation über Kommunikation – steckt im 2. Axiom. Schon das Wort „Kommunikation“ war damals in den 60ern relativ neu, und Paul Watzlawick und seine Kollegen waren mit ihren neuartigen Methoden als Ketzer angefeindet und ausgegrenzt; die Psycho-Analyse (be)herrschte die Therapiewelt.
1974 publizieren Watzlawick/Weakland/Fisch mit „Lösungen“ schließlich ihr Buch zu einem völlig neuartigen Umgang mit Problemen. Sie entwickeln die Familien-Kurzzeit-Therapie und haben eine hohe Erfolgsquote – mit maximal zehn Sitzungen anstelle jahrelanger Analyse. „Die Lösung (1. Ordnung) ist das Problem“, sollte ein paradoxer Sager werden, mit dem Watzlawick bekannt, wenn auch nicht immer verstanden wird. Eine Lösung des „mehr desselben“ führt zum Problem, daher entwickelt Watzlawick sehr kreative, oft paradoxe Lösungen zu einer rahmenüberwindenden Lösung 2. Ordnung.

Anleihe nimmt er dazu auch bei den östlichen Philosophien. Ein Beispiel? „Wer einen Albtraum hat, kann in seinem Traum alles Mögliche versuchen: fliehen, sich verstecken, sich wehren, aus dem Fenster springen usw.; doch führt bekanntlich kein Wechsel von einem dieser Verhalten zu einem anderen [innerhalb des Systems] zur Lösung des Albtraums. Die Lösung liegt im Wechsel vom Träumen zum Wachen. Erwachen ist aber nicht mehr ein Element des Traums, sondern eine Veränderung zu einem vollkommen anderen Zustand.“

Im Alltag führen diese Lösungen 2. Ordnung sehr oft aus Vertrautem heraus – so rät Watzlawick dem Stotterer bewusst zu stottern und dem angstvoll Vortragenden, seine Angst vor dem Publikum anzusprechen. Und den Patienten hilft es.

Sein Werk „Wir wirklich ist die Wirklichkeit“ bringt ihn in den 80er-Jahren ins ORF-Nachstudio zu Franz Kreuzer; der neuartige radikale Konstruktivismus interessiert. „Es gibt keine Wahrheit!“, wird Watzlawick verkürzt zitiert und auch angefeindet. Er unterscheidet die objektive Wirklichkeit 1. Ordnung von der subjektiven Wirklichkeit 2. Ordnung – anschaulich im watzlawickweisen Witz-Stil: Das Glas Wasser, das zur Hälfte Wasser enthält, bezeichnet der Pessimist als halb leer; und der Optimist als halb voll!? „Der Glaube, es gäbe nur eine Wirklichkeit, ist die gefährlichste all unserer Selbsttäuschungen“, so der vielfach ausgezeichnete und weltweit tätige Wissenschaftler.

Sein Gedankengut ist heute in zig Disziplinen maßgeblich, die meisten seiner Themen sind der Struktur nach zeitlos aktuell. Paul Watzlawick hätte uns heute wohl daran erinnert, dass wir im Sinne der Self-Fulfilling-Prophecies unsere Wirklichkeiten eigenverantwortlich, frei und konziliant gestalten können. An seinem 100. Geburtstag hätte er mit Genuss eine Linzertorte gegessen, in Palo Alto einen Spaziergang gemacht und ein Buch gelesen; eine Katze gestreichelt und von uns vernommen: „Happy birthday, Onkel Paul!“