Die Aussichten stehen gut. Mit seinem unlängst erschienenen vierten Roman „Das Geheimnis von Zimmer 622“ wird Joël Dicker sein Konto wohl weiter auffetten. An die sechs Millionen Bücher hat der Schweizer Autor bislang verkauft. Diesmal geht es um eine Bankiersfamilie und die kriminellen Abgründe, die sich hinter der glänzenden Fassade auftun. Begonnen hat Dickers Karriere 2013 mit dem Roman „Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert“, in dem es bezeichnenderweise um einen gefeierten Jungstar mit Schreibhemmung geht. Davon blieb Dicker selbst bislang verschont. Er liefert verlässlich, und auch sein aktueller Roman hat bereits die Büchercharts erklommen.

Da stellt sich natürlich die Frage, ob man so einen Erfolg dem Zufall oder dem launischen Geschmack der Leserschaft überlassen soll oder nicht vielmehr versuchen sollte, dem kommerziellen Glück auf die Sprünge zu helfen. Aber was macht einen Bestseller aus? Nach welchem Muster muss er gestrickt sein? Gibt es so etwas wie ein Bestseller-Rezept, einen mysteriösen Code gar?

Was es tatsächlich bereits seit Jahren gibt, ist eine Bestseller-Forschung, zuletzt forciert betrieben an der renommierten Stanford-Universität in Kalifornien, die 20.000 Bücher auswertete, die sich im Lauf der Literaturgeschichte gut verkauft haben. Gibt es Gemeinsamkeiten, ist so etwas wie eine Bestseller-DNA zu entschlüsseln?

Deutsche Linguisten haben die Erkenntnisse aus Stanford begutachtet und 6000 deutschsprachige Bestseller in die Datenbank eingespeist. Die Hamburger Firma „QualiFiction“ wiederum, die laut Homepage „Analysen von Texten und Bewertung von Bucherfolgen“ anbietet, verfügt über eine Software, die Manuskripte auf ihre Erfolgsaussicht hin abklopft. Innerhalb kürzester Zeit liegt ein „Bestseller-Score“ vor. Analysiert wird etwa der Anteil an Schilderung körperlicher Nähe, an Liebe, Verlust, Schicksal. Wobei die Formel „Sex sells“ offenbar nicht mehr zeitgemäß ist. Körperlichkeit, ja; aber allzu viele Körpersäfte sollten nicht im Spiel sein.

Andere US-Wissenschaftler wiederum wollen eine „Bestseller-Formel“ entwickelt haben, nach der der Erfolg von Büchern präzise vorhergesagt werden kann. Analysiert wurden Texte nach Syntax, Wortwahl und Grammatik. Bei ihren Forschungen fanden die Wissenschaftler wenig überraschend heraus, dass es oft die kleinen Dinge sind, die große Bücher ausmachen. Erfolgreiche Autoren verwenden sehr häufig Konjunktionen wie „und“ oder „aber“ und eine große Anzahl von Substantiven. Weniger erfolgreiche Bücher hingegen enthalten mehr Verben und Adverbien.

Der deutsche Literaturagent Roman Hocke ist mit seiner Firma „AVA International“ eine große Nummer im Geschäft – und er hält herzlich wenig von Algorithmen und Bestseller-Formeln: „Ich verlass mich lieber auf mein Gespür“, sagt Hocke, der u. a. die österreichischen BestsellerautorInnen Ursula Poznanski („Erebos“) und Andreas Gruber („Der Judas-Schrein“) sowie den Thriller-König Sebastian Fitzek („Der Heimweg“) zu seinen Klienten zählt.

Doch auch Könige fallen nicht vom Himmel, und beim Erklimmen des Throns war Roman Hocke maßgeblich beteiligt. Als Fitzek mit seinem ersten Manuskript bei Hocke anklopfte, wollte dieser wissen: „Warum spielt das Buch in New York?“ Fitzek: „Weil alle Krimis und Thriller dort spielen.“ Einwurf Hocke: „Unsinn! Warum nehmen Sie nicht Berlin als Schauplatz? Dort kennen Sie sich aus.“ Fitzek hörte auf den Ratschlag. Der Rest ist Bestseller-Geschichte. Und Hocke lächelt: „Ein Literaturagent ist wie eine Hebamme. Er schaut, wie das Kind liegt und dass es gut auf die Welt kommt.“

Lesen als Bereicherung

Wovon hängt es nun tatsächlich ab, ob ein Buch einschlägt oder nicht. „Man darf den Zeitgeist nicht vergessen, der sich etwas ausdenkt, in das er sich hineinspiegelt.“ Vorherbestimmen kann man das laut Hocke allerdings schwer, „denn der Zeitgeist ist ein mysteriöses, launenhaftes Wesen, von dem man immer erst im Nachhinein weiß, was es wollte.“

Von der Literaturkritik werden Bestseller belächelt oder zerrissen. Diese Abkanzelung der sogenannten „Unterhaltungsliteratur“ sieht Roman Hocke gelassen. „Dass schwarze Zeichen auf weißem Papier zu einer lebendigen Welt werden, in die Leser versinken können, ist für das eigene Innenleben enorm bereichernd. Und dass man in und mit einem Buch Erfahrungen macht, die man sonst nicht machen würde in seinem Leben, das hat eine besondere Qualität – unabhängig von der Qualität des Buches.“

In Österreich erscheinen jährlich rund 90.000 Titel auf dem Büchermarkt, davon 10.000 von österreichischen Verlagen. Mit 35.000 verkauften Stück war 2020 die Kabarettistin Monika Gruber die Bestsellerin. Ihr Buch heißt „Und erlöse uns von den Blöden“. Untertitel: „Vom Menschenverstand in hysterischen Zeiten“.