"Worte. Überlebende des Lebens, leisten ihm noch eine Weile Gesellschaft“, heißt es bei Samuel Beckett. Nun kann die Endzeit ruhig noch warten. Aber die Vorstellung, dass sich die Worte, Mäusen gleich, um den fürsorglichen Mäusekönig Clemens I. scharen, wissend, bestens bei ihm aufgehoben zu sein, besitzt schon einige Reize.
Zumal es erheblichen Wortzuwachs gab. Sechs Jahre lang beschäftigte sich Clemens J. Setz akribisch mit den sogenannten Plansprachen, künstlichen Sprachen also, die, man denke nur an Esperanto, oft den Anspruch auf Weltgeltung erhoben. Hinzugesellt sich mit „Bliss“ eine reine Zeichensprache, die Sprach- und Gehörlosen wertvolle Hilfe bei der Kommunikation leistet. Allein die Geschichte von Charles Blitz, dem ins KZ deportierten Entwickler der Bliss-Symbolics, würde Stoff für einen ungeheuerlichen Roman liefern.

Klingonisch ist mit dabei


„Die Bienen und das Unsichtbare“ betitelt sich die ebenso ungeheuerliche wie spannende, immens kluge und auch ironische Expedition durch diese Sprachwelten, bis hin zum Klingonischen aus„Star Trek“. Der Buchtitel bezieht sich auf ein Rilke-Zitat über die Rolle der Dichter („Wir sind die Bienen des Unsichtbaren“), alles Weitere ist Original-Setz, in Vollendung. Summer cum laude.
Als Klammer könnte ein Leitsatz von Claude-Levi Strauss dienen, wonach der Sinn des Schreibens und der Sprachen primär in der Überwachungund Versklavung der Menschen besteht. Dies mag die Suche nach friedvollen Neukreationen erklären. Wie sehr die Sprache missbraucht, misshandelt und zum Stechschritt-Jargon genötigt werden kann, bewiesen ja die Nazis, nachzulesen in Viktor Klemperers Jahrhundertwerk „LTI“.

Entlarvungen


Der Vielsprachen-Virtuose Clemens J. Setz liefert einen Gegenpol. Er belegt etwa, wie viele poetische Geniestreiche Esperanto enthält, dies gilt auch für die lautmalerischen Glanztaten der Gugginger Dichter. So nebenher enttarnt er den dubiosen Dichter und selbst ernannten Alleswisser Ezra Pound, der ohne jegliche Sprachkenntnisse Konfuzius allein durch das vermeintliche Durchschauen der Wort-Zeichen übersetzte. Der Bliss soll ihn dafür treffen.
Ach, was soll’s? Unbedingt selber lesen. Denn Clemens J. Setz führt und verführt souverän und in einem soghaften erzählerischen Ton in ein oft exotisch anmutendes Wort-Reich, mit Bravour, Intensität und Tiefsinnigkeit, die schlicht sprachlos macht. Oder eben mucksmäuschenstill.

Lesetipp: Clemens J. Setz. Die Bienen und das Unsichtbare. Suhrkamp, 418 Seiten, 24,70 Euro.

Lesung: Clemens J. Setz präsentiert sein neues Buch am 29. 10. um 19 Uhr im Literaturhaus Graz.