Lautstark und ziemlich aufgeregt wurde sie zur Stimme der Millennials ausgerufen, und bereits für ihren ersten Roman „Gespräche mit Freunden“ ist Sally Rooney in den literarischen Olymp gehoben worden. Andere hätten sich bei diesem Höhenflug die Flügel versengt, doch die irische Literatin legt mit ihrem neuen Roman „Normale Menschen“ noch an Flughöhe zu. Und ihr Sprachsound, den man nur unzulänglich als magisch bezeichnen kann, ist noch unwiderstehlicher geworden und ihre Figuren sind noch „angreifbarer“ im guten Sinne geraten. Angreifbar deshalb, weil Rooney aus Buchstaben Menschen aus Fleisch und Blut schafft; vornehmlich junge Menschen, die sich allerdings am uralten Thema namens Liebe abmühen.

Diesmal sind es Marianne und Connell aus einem muffigen Kaff im Westen Irlands. Sie hochintelligentes Töchterchen aus reichem Haus mit ausgeprägter Sozialphobie, er ein windschlüpfriger Prolo. Zwischen den beiden entwickelt sich – ja was eigentlich? Marianne und Connell führen endlose Gespräche, sie haben Sex, irgendwann fällt auch das Wort „Liebe“. Aber ist das schon eine Beziehung? Und: Ist das wichtig, was es ist? An der Universität wendet sich das Blatt: Marianne wird zur umgarnten Partymaus, Connell findet sich inmitten der Dubliner Intelligenzija nicht zurecht und verliert zunehmend den Kontakt zu Marianne und sich selbst.

Die Sprache von Sally Rooney ist wieder radikal entschlackt, geradezu skelettiert und – zumindest auf den ersten Blick – bar jeder Romantik. Es fehlt weitgehend an aufgeplusterten Adjektiven und gänzlich an endlosen, sich ineinander verheddernden Satzgirlanden. Die „normalen Menschen“ reden in normalen Situationen in normaler Sprache miteinander, Oral Writing gewissermaßen. Doch natürlich trügt der Schein der Simplizität, und zwischen den Zeilen kommt etwas zum Vorschein, das nur große Autoren beherrschen: die hohe Kunst, das geschriebene Wort nicht der Künstlichkeit preiszugeben.

Das Etikett, dass Sally Rooney den Millennials, den Kindern der Jahrtausendwende, eine Stimme gibt, ist zwar einengend, aber es stimmt. Auch wenn ihr Ton vorderhand kühl und geradezu abweisend klingt, ist sie doch mit ihren Figuren – die nie als solche wirken – in tiefer Zuneigung und Verständnis verbunden. Und Rooney wischt auch unwirsch so manches Klischee vom Tisch. Etwa jenes, dass „die Jungen“ beziehungsunfähig sind und sich nicht festlegen wollen. Ach, Unsinn! Die Millennials lieben und leiden wie die Altvorderen. Aber sie wollen das, was sie tun, sind und fühlen, nicht zwangsläufig benennen, nicht mit Worten festzurren, nicht in Schubladen stecken, auf dass die Beziehungskleidungsstücke immer fein säuberlich geordnet und griffbereit sind.

Natürlich ist „Normale Menschen“ ein Entwicklungsroman und ein Roman über die vielen Facetten von Freundschaft. Und, ja, es ist auch ein Liebesroman, wie könnte es anders sein? Allerdings losgelöst von jedweder Peinlichkeit, Plattheit, dafür umso eindringlicher. Diese karge Wahrhaftigkeit blieb offenbar bei der Adaptierung des Buches für eine Streaming-Serie (ein deutscher Starttermin steht noch aus) teilweise auf der Strecke. Marianne, im Buch ein eher hässliches Entlein, ist im Film eine fragile, geheimnisvolle Schönheit. Das Vermeiden von Künstlichkeit ist, wie gesagt, eine hohe Kunst.

© KK

Buchtipp: Sally Rooney. Normale Menschen. Luchterhand, 320 Seiten, 20,60 Euro.