Wenn es darum geht, die Welt meisterhaft in den Abgrund zu schreiben bzw. mit den Mitteln der Literatur eindringlich davor zu warnen, dass sie eben dorthin gerät, standen und stehen die britischen Schreibkräfte stets an vorderster Front. Morus, Orwell, Wells, um nur einige der genialen Apokalyptiker und verzweifelten Utopisten zu nennen. Und dass der neue Roman von Sam Byers in der deutschen Übersetzung „Schönes neues England“ lautet (im Original übrigens „Perfidious Albion“), ist natürlich kein Zufall. Die Anlehnung an „Schöne neue Welt“, den Dystopie-Klassiker von Aldous Huxley, soll wohl auch verkaufsfördernd wirken.

Aber Taktik hin oder her, diesem dunkel schillernden Roman sind jedenfalls möglichst viele Leser zu wünschen, wenngleich die Gemengelage, die Byers mit wild-wuchtiger Fabulierlust ausbreitet, hochgradig toxisch ist. „Achtung, Verätzungsgefahr“ möchte man als Warnung auf dieses ebenso fordernde wie funkelnde Buch picken. Bryers Buch vor diesem Roman trug den Titel „Idiopathie“ – und das ist ein guter Wegweiser zu diesem Werk. Schauplatz des Geschehens ist die Kleinstadt Edmundsbury, dorthin haben sich die satten, hippen, aber müden Londoner zurückgezogen, um im Ländlichen Zuflucht zu suchen.

Doch natürlich ist das Idyll brüchig, denn vor der menschlichen Idiopathie ist nichts sicher. Der soziale Wohnbau in der Stadt wird durch höchst unsoziale Machenschaften von Spekulanten zum Einsturz gebracht, das Gesundheitssystem leidet unter akuter Atemnot, das Schulsystem bleibt auf leeren Versprechungen sitzen. Die Wut und die Aggression der Bewohner ob all dieser Malaisen wird natürlich von den Rattenfängern der rechten Parteien dankbar eingefangen und für deren unappetitliche Zwecke missbraucht.

Wenn Ihnen all das jetzt ziemlich bekannt vorkommt: Natürlich ist „Schönes neues England“ eine bissige Post-Brexit-Satire, aber dieses Etikett allein würde zu kurz greifen. Ein wichtiger Handlungsstrang in diesem Roman sind die Segnungen des Digitalen, die sich längst zum Fluch ausgewachsen haben. Was ist wahr, wer ist echt? Fake News sind längst überholt, Fake Humans treiben ihr Unwesen. Im Vergleich zu den Internet-Düstermännern in diesem Buch ist „Big Brother“ ein Blindgänger. Fazit: Noch ist die Welt nicht untergegangen. Aber die Richtung stimmt.

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Sam Byers. Schönes neues England.
Tropen, 509 Seiten, 24,70 Euro.