Zu den wunderbaren Gaben großer Autorinnen und Autoren zählt es, die Leserschaft schon mit dem ersten Satz bei der Hand zu packen und sie mitzunehmen auf die Erzählreise. Über diese ebenso seltene wie großartige Fähigkeit verfügt die Wiener Literatin Raphaela Edelbauer (29) auch. Sie schuf sich gleich mit ihrem Debütroman „Das flüssige Land“ einen Sonderstatus in der Gegenwartsliteratur. Selten in jüngerer Zeit wurde so eindrucksvoll bewiesen, was Literatur alles zu leisten vermag.

Keineswegs von ungefähr befindet sich ihr Werk auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis. Und bereits im Juni sicherte sich das Verlagshaus Scribe die englischsprachen Weltrechte. Damit aber zurück zur Erzählreise, die zu einem realen Albtraum wird, unaufhaltsam, beklemmend, vielschichtig. Das böse Erwachen gibt es, wenn überhaupt, in der österreichischen Gegenwart.

Gigantisches Loch

Schauplatz des Romanes ist ein Ort namens Groß-Einland. Dorthin will die in Wien lebende Physikerin Ruth reisen, aus tragischen Gründen. Ihre Eltern, die jahrzehntelang in diesem Ort lebten, starben bei einem Unfall. Kontakt mit ihren Eltern hatte Ruth kaum, was bleibt, sind Erinnerungsfragmente und der Wunsch, die Verunglückten in diesem Ort in einem Familiengrab beizusetzen. Allein, Groß-Einland ist auf keiner Karte eingezeichnet, irgendwo im Wechsel-Gebiet soll es sich befinden.
Als Ruth endlich ihr Ziel erreicht, stößt sie auf eine Vielzahl von Seltsamkeiten und Geheimnissen. Idyllisch, fast einer mittelalterlicher Filmkulisse gleicht das Städtchen, regiert von einer diktatorischen Gräfin. Aber es ist ein Ort vielfacher Bedrohung, verursacht durch ein gigantisches Erdloch, das sich unter dem Zentrum befindet und zum Absinken sämtlicher Häuser führt. Ruths Recherchen fördern etliche Vertuschungen an das Tageslicht. Einst befand sich dort ein Bergwerk, später bauten die Nazis angeblich tief unten sogar Flugzeuge, Insassen des KZs Mauthausen verrichteten dort Zwangsarbeit, auch als Massengrab soll das kolossale Loch gedient haben. Ehe es tonnenweise mit Beton zugeschüttet wurde.

Nachhall

Aber die Merde, sie hat uns immer wieder in dieser Parabel über österreichische Verdrängungskunst. Mystisch, surreal, grotesk, beklemmend am Beginn, immer entlarvender im Verlauf der Geschichte, die in etlichen Genres angesiedelt ist, vom Horror- bis zum Anti-Heimatroman. Enorm ist die Raffinesse, naheliegend sind Vergleiche mit Kafka, Kubin, Borges oder Hans Lebert. Aber Raphaela Edelbauer verfügt über einen eigenen Erzählton mit langem Nachhall; er ist faszinierend und macht fassungslos.

Lesetipp: Raphaela Edelbauer. Das flüssige Land. Klett-Cotta, 360 Seiten, 22,70 Euro.