Der präzise Zeitbefund von Dennis Lehane ist längst ein Klassiker: „In griechischen Tragödien fallen die Figuren von großer Höhe. Bei uns fallen sie bestenfalls von der Bordsteinkante.“ Mitunter fehlt sogar die. Daniel Woodrell, dessen Storys stets dort angesiedelt sind, wo der American Way of Life in einem Abgrund mündet, schuf dafür den Dachbegriff „Country noir“. Inflationär machten die Verlage Gebrauch von dieser Bezeichnung, mittlerweile gibt es dafür ein neues Genre: den Südstaaten-Heimatroman. Warum auch nicht?

Chronik der Ausweglosigkeit

Aber dahinter steckt natürlich auch blanker Zynismus. Es sind düstere, brisante Zustandsbilder, voll Tristesse und Hoffnungslosigkeit, die all die Werke von Woodrell oder Donald Ray Pollock prägen, deutlich beeinflusst von Jim Thomson oder Cormac McCarthy. Nun gibt es mit Attica Locke eine weitere, herausragende Repräsentantin dieser erbarmungslosen Chroniken der Ausweglosigkeit. Dass ihr neues, mehrfach preisgekröntes Werk „Bluebird, Bluebird“ auch als Krimi gehandelt wird, stimmt nur zum Teil. Attica Locke, eine enorm engagierte Bürgerrechtskämpferin, führt ihre Leserschaft in die hintersten Winkel der texanischen Provinz. Dorthin, wo die Kriminalität zum Alltag gehört.

Ihr Protagonist ist ein afroamerikanischer Texas-Ranger, gebildet, aber fernab von jedem Superheldentum. Er soll in einem Kaff eine Mordserie aufklären, stößt aber nur auf Hass, Rassismus und Schweigen.

Arische Bruderschaft

Denn im Zentrum des Romans steht die faschistische, real existierende Arische Bruderschaft Texas, die immer wieder durch grauenhafte Gewaltorgien für Schlagzeilen sorgt. Bloß: Wen kümmert's? Die Opfer sind ja allesamt Afroamerikaner. In Attica Lockes realitätsnahem Zustandsbild ist eines der Opfer ein begnadeter Bluesmusiker, Fan von John Lee Hooker und Lightnin' Hopkins. Ihr Sound prägt auch den Stil und die Sprache von Locke, es ist ein Todesblues. Werner Krause

Buchtipp: Attica Locke. Bluebird, Bluebird.
Polar-Verlag, 280 Seiten, 20,60 Euro.