Nach 70 Minuten setzt es tosenden Applaus für Henriette Blumenau, Julia Gräfner, Florian Köhler, Nico Link und Anna Szandtner: Soeben haben die fünf Ensemblemitglieder des Grazer Schauspielhauses zum Abschluss der „Autorentheatertage 2019“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin die fulminante Uraufführung des Dramas „ruhig Blut“ der jungen Südtirolerin Eleonore Khuen-Belasi bestritten. Es ist der erste Auftritt der Grazer im Rahmen des renommierten Festivals, das junger Gegenwartsdramatik einen eigenen Wettbewerb widmet.

Dafür wählte heuer eine Jury aus 113 eingesandten Texten drei Stücke zur Uraufführung aus – eines davon in gemeinsamer Produktion des Grazer Schauspielhauses mit dem Deutschen Theater. Die Grazer lösten dabei immerhin das Burgtheater als Koproduktionspartner der Berliner ab. Nach Ausstieg der Wiener wandte sich Ulrich Khuon, Intendant des DT und Spiritus rector des Festivals, an die Grazer Schauspieldirektorin Iris Laufenberg. Die sagte sofort zu und hat sich mittlerweile ein weiteres Stück aus der Jury-Auswahl für Graz gesichert: „Bookpink“ von Caren Jeß wird am 29. November in Graz uraufgeführt.

Nebst der Uraufführung von „ruhig Blut“ konnte Laufenberg ein weiteres Schmuckstück in den Berliner Festival-Schaukasten stellen: Jan Gockels rasante postkoloniale Fake-Doku-Revue „Die Revolution frisst ihre Kinder!“, seit November in Graz zu sehen, wurde als zusätzliches Gastspiel gezeigt und war „ein mordsmäßiger Erfolg“, freut sich Laufenberg. Was man wohl behaupten darf, wenn sich Stars wie „Tatort“-Kommissar Wolfram Koch oder Ben Becker nachher zum Schulterklopfen anstellen.

Auch für Theaterholding-Chef Bernhard Rinner, der mit einer Delegation des Aufsichtsrats die Uraufführung in Berlin besuchte, ist es „eine besondere Auszeichnung, wenn Ulrich Khuon, einer der wichtigsten Theaterleute im deutschsprachigen Raum, das Grazer Schauspielhaus zur Zusammenarbeit einlädt“. Zwei Ausgaben das Festivals bestreiten die Grazer mit dem DT und dem Züricher Neumarkttheater; weitere Folgewirkungen unkonventioneller Programmgestaltung und überregionaler Zusammenarbeit zeichnen sich bereits ab: Demnächst gastiert „Die Revolution frisst ihre Kinder!“ beim afriCologne-Festival in Köln, auch aus Hamburg und Ougadougou wurde bereits angefragt. Mit Nikolaus Habjans „Böhm“ reist das Haus im Herbst nach Liechtenstein, mit Aya Akhtars „The Who and the What“ nach Zug in der Schweiz.

An „ruhig Blut“ gibt es ebenfalls schon Interesse. Verdient hätte es sich Clara Weydes Inszenierung, in der drei Damen, die in Dutt und schwarzen Kleidern ein wenig an ein Trio sizilianischer Witwen, ein wenig an Werner Schwabs „Präsidentinnen“ Erna, Grete und Mariedl erinnern, sich daran machen, mit ungewöhnlichen Mitteln Risse im Asphalt zu kitten. Der aber, in Gestalt der wie immer hinreißenden Julia Gräfner, beginnt sich dagegen zu wehren. Die groteske, pointierte Parabel über Fortschritt und Beharrungsvermögen erlaubt sowohl eine private als auch politische Lesart. Es fallen hübsche Sätze wie „Nur Besitz hilft gegen Armut“, ausgiebig kommen Körpersäfte wie auch Knödel zur Sprache. Letztendlich geht es um soziale Verwerfungen: um Wut und was daraus werden könnte.