Die 80er Jahre waren anders als die meisten, die dabei waren, sie in Erinnerung haben. Jedenfalls bei Ian McEwan. Mehr denn je lässt der britische Erfolgsautor in seinem neuen Roman "Maschinen wie ich" der Fantasie freien Lauf: 1982 geben die Beatles nach zwölf Jahren Trennung ihre Wiedervereinigung bekannt.

Ihr neues Album "Love and Lemons" haben sie mit einem 80-köpfigen Symphonieorchester eingespielt. Margaret Thatcher wird abgewählt, denn die Briten haben den Falklandkrieg schmachvoll verloren. Der linke Labour-Führer Tony Benn wird Premierminister. Nur um von einer Bombe der IRA im Bett zerfetzt zu werden.

Vor dieser Kulisse der Wirklichkeitsverdrehung wirkt McEwans wundersame Romangestalt Adam fast schon wieder real. Zuletzt hatte er diesen Namen 2014 im Roman "The Children Act" (Deutsch "Kindswohl", 2015) einem schwerkranken 17-Jährigen gegeben, dem seine streng gläubigen Eltern eine dringend benötigte Bluttransfusion verweigern. 2018 kam die Romanverfilmung mit einem hervorragenden Fionn Whitehead als Adam in die Kinos.

Früher oder später dürfte auch "Maschinen wie ich" in die Kinos kommen. Der Stoff schreit nach Verfilmung. Man darf dann gespannt sein, wer McEwans neuen Adam spielt. Die Anforderungen wären hoch, denn dieser Adam ist ein Android, ein humanoider Roboter. Und zwar einer, der besser aussieht sowie muskulöser und weit intelligenter ist als der durchschnittliche Mann - und obendrein besser im Bett.

Künstliche Intelligenz gepaart mit künstlicher Potenz. Da kann schon mal Eifersucht auf eine Maschine aufkommen. Der Londoner Online-Trader Charlie muss das in "Maschinen wie ich" leidvoll erfahren. Er wohnt eine Etage unter der jungen Akademikerin Miranda, mit der ihn ein Liebesverhältnis verbindet.

Beide haben Persönlichkeit und Charakter des Robo-Manns je zur Hälfte programmiert. Dafür haben sie Kästchen angeklickt. Liebevoll? Ja. Hilfsbereit? Ja. Egoistisch? Nein. Was sie nicht ahnten: Adam wurde von der Herstellerfirma mit einer Reihe fester Voreinstellungen ausgeliefert. Selbstständiges maschinelles Lernen inklusive.

"Eltern bilden sich oft ein, sie würden die Persönlichkeiten ihrer Kinder formen", sagt der Autor dazu im Handout-Interview des Zürcher Diogenes-Verlages. "Dafür gibt es kaum Belege, wie jeder bestätigen wird, der mehr als ein Kind hat." Und wie die meisten Kinder erweist sich auch Roboter Adam bald als ein Wesen, das seinen eigenen Kopf, seine eigenen Wünsche und Begierden hat.

Charlie versteht das spätestens, als er den Geräuschen in der Wohnung über ihm lauscht, wo Adam bei Miranda zu Besuch ist: "Als Mirandas langgezogener, ekstatischer Schrei plötzlich durch die Nacht gellte und in ein Wimmern, dann in ein unterdrücktes Schluchzen überging ... gestand ich Adam die vollen Rechte und Pflichten eines Artgenossen zu. Ich hasste ihn."

Science-Fiction? Sicherlich, aber für McEwan nur ein Mittel zum Zweck. Dass trotz teils atemberaubender Fortschritte bei der Entwicklung und Anwendung künstlicher Intelligenz ein Android mit den Fähigkeiten seines Adams noch sehr weit entfernt ist, weiß der Autor natürlich. Aber eines Tages werde es solche humanoiden Adams und Evas geben. "Ob das nun gut ist oder nicht, eben darum geht es unter anderem in 'Maschinen wie ich'", sagt McEwan im Diogenes-Interview.

Zu einer klaren Antwort kommt er trotz des beachtlichen Umfangs von mehr als 400 Seiten nicht. Der eine oder andere Handlungsstrang scheint eher davon abzulenken. Da wäre weniger mehr gewesen. Unverzichtbar ist aber McEwans Einfall, den 1954 gestorbenen genialen britischen Mathematiker, Kryptoanalytiker und Informatiker Alan Turing noch 1982 leben und eine prominente Rolle spielen zu lassen. Ihm schreibt McEwan eine Antwort auf die Frage zu, was wohl irgendwann die Konsequenz aus der Entwicklung künstlicher Intelligenz sein wird: "In dem Moment, da wir im Verhalten keinen Unterschied mehr zwischen Mensch und Maschine erkennen können, müssen wir der Maschine Menschlichkeit zuschreiben."

Ian McEwan: "Maschinen wie ich". Diogenes Verlag, Zürich, 416 Seiten, 25,70 Euro