Alles ist auf Anhieb vertraut. Das Kommissariat am Pariser Quai des Orfèvres, darin ein völlig verrauchtes Zimmer, in dem spätabends noch das Licht brennt. Am Schreibtisch sitzt ein recht fülliger, griesgrämiger Kommissar, der ständig seine Pfeife stopft. Der Kanonenofen hat eher die Funktion eines Gefrierschranks übernommen.

Und doch erscheint selbst für Kenner aller 75 Maigret-Romane alles in einem neuen Licht. Denn es handelt sich um die bisher unbekannt gebliebene Geburtsstunde des weltberühmten Ermittlers. Kurz die Vorgeschichte: Ab 1928 widmete sich GeorgeSimenon neben dem Verfassen recht platter Trivialromane auch der kriminellen Szenerie. Aber er fühlte sich noch nicht trittsicher in diesem Metier und wählte etliche Pseudonyme und diverse Protagonisten. Unter dem Namen George Sim schuf der Belgier drei Krimis, in denen, eher als Randfigur, auch ein Kommissar Maigret auftauchte.

Paukenschlag


Erst im vierten Anlauf, im Jahr 1932, durfte Jules Maigret voll durchstarten – im Krimi „La maison de l‘ínquiétude“, verfasst von George Sim. Beflügelt durch den Erfolg, gab Simenon seine Tarnung auf, integrierte das Buch aber nicht in seine Maigret-Serie. Das Werk geriet wieder in Vergessenheit.

Ehe nun der Paukenschlag folgte. Mit „Maigret im Haus der Unruhe“ gibt es den Erstling erstmals in deutschsprachiger Übersetzung. Mit allen sprachlichen Zutaten, die Simenon und seinem Ermittler zu Weltruhm verhalfen. Ein gutbürgerliches Mietshaus wird zum Schauplatz eines Mordes. Grandios ist Simenons Gabe, Figuren in wenigen Sätzen zum Leben zu erwecken, wunderbar und wohltuend seine Art der Entschleunigung. Für die größte Action sorgt eine Verfolgungsjagd in einer Straßenbahn. Und bei einer Schlägerei wird Maigrets Pfeife zertrümmert. Der Rest? Kopfsache, Intuition, seelische Tiefenbohrungen, Enttarnungen.

Als „Schicksalsflicker“ bezeichnete sich Simenon selbst, ein netter Begriff für einen, der stets genial die Fäden zog.

Buchtipp: George Simenon. Maigret im Haus der Unruhe. Kampa, 192 Seiten, 17,40 Euro.