Die totale geistige Finsternis hatte den letzten guten Gedanken aus dem Dorf vertrieben.“ Das ist nur einer unter vielen düsteren Sätzen, die nicht nur unter die Haut gehen. Sie brennen sich ein, geschrieben in einer Sprache, die, wie Peter Handke schreibt, zwischen den Zähnen knirscht. In etlichen Passagen gleicht „Schotter“ von Florjan Lipuš der „Todesfuge“ von Paul Celan. Mit einem kleinen, lediglich formalen Unterschied. Der slowenische Dichter von Weltgeltung entschied sich bei seinem Abstieg in tiefste menschliche Abgründe für eine epische Form. Teils mag dies einem Klagelied gleichen, vor allem aber ist es eine erbarmungslose Abrechnung und Klageschrift samt Urteil, das vernichtender nicht hätte ausfallen können. Es macht demütig, es macht klein, es lehrt wortgewaltig das Fürchten, aber auch die Demut.

Tot-Lebendige

Bewohner eines Dorfes brechen zu einem Gedächtnismarsch auf. Ziel ist ein Konzentrationslager, das längst dem Erdboden gleichgemacht wurde, um dem Vergessen Platz und Raum zu verschaffen. Lediglich der Schotter blieb, auf ihm marschierten Frauen, Tot-Lebende, wie sie Lipuš nennt, ausgemergelt, halb ausgelöscht schon, zum Appellplatz, wo sie stundenlang völlig regungslos ausharren mussten. Schwiegen die Aufseher, übernahmen Todespeitschen das Kommando.

Dennoch ist „Schotter“ keine Holocaust-Geschichte. Es ist die auf knappe 140 Seiten verdichtete Essenz des Denkens und Schaffens eines an seelischen Narben reichen Autors. Das Werk ist geprägt durch grenzenlosen Pessimismus, getragen von der Überzeugung, dass durch Verdrängung, Verrat, Stammtisch-Verblödung, Hass, Ignoranz, zum Teil bereitwillige Preisgabe der Muttersprache und der Identität die Wiederkehr des Grauens nur eine Frage der Zeit ist.

Lipuš rechnet mit allem und jedem ab. Mit Dorfgemeinschaften, denen nur das Gemeine innewohnt, mit der Wiederkehr des dumpfen Völkischen, mit der Rolle der Kirche, nicht nur in den Kriegsjahren. In einer Passage springen zwei Kinder wie beim Tempelhüpfen über die Schottersteine, in der Hoffnung, wenigstens einen Stein zu berühren, über den einst ihre Großmutter ging. Man liest’s wie versteinert.

Buchtipp: Florjan Lipuš: "Schotter". Jung und Jung, 140 Seiten, 20 Euro.