Sein Roman „Tram 83“, 2014 auf Französisch, 2016 auf Deutsch erschienen, war eine literarische Sensation. Jetzt legt Fiston Mwanza Mujila kräftig nach. Der aus dem Kongo stammende Autor hat sein erstes Theaterstück auf Deutsch geschrieben, morgen wird es am Wiener Akademietheater uraufgeführt. Mwanza Mujila, der seit seinem Engagement als Stadtschreiber 2010 in Graz lebt, über Sprachgrenzen, Denkgrenzen und die Bar als Angelpunkt der Literatur.

Herr Mwanza, wie schreibt es sich auf Deutsch?
FISTON MWANZA MUJILA: Die Dinge auf Deutsch zu benennen, ist ganz anders als auf Französisch. Auch wie die Schauspieler den Text sprechen, ist anders, als ich gedacht habe. Der Text verändert sich, wenn er von Muttersprachlern mit ihrer Persönlichkeit und Energie dreißig Mal gesprochen wird, man entdeckt sich als Autor neu. Beim Schreiben hört man ja nur die eigene Stimme. Inzwischen sprechen meine eigenen Figuren schneller und besser Deutsch als ich, das finde ich beeindruckend (lacht).

Sie pflegen in Ihrer bisherigen Schreibsprache Französisch einen sehr musikalischen, jazzigen Stil. Ein Kritiker nannte Sie sogar einen „musicien des mots“, einen Musiker der Worte. Deutsch gilt als eher unmusikalische Sprache, wie kommen Sie da zurecht?
Ich komme aus einer Händlerfamilie, also versuche ich auch, mit der Sprache zu verhandeln, sie nicht zu domestizieren, sondern zu musikalisieren.

Sind Sie auf Deutsch ein anderer Autor als auf Französisch?
Auf Französisch schreibe ich lange, fast endlose Sätze, ich arbeite mit Akkumulation, habe Rhythmus, Puls, Takt im Kopf. Auf Deutsch sind die Sätze kürzer. Ich habe ein Wörterbuch und verwende auch seltene Wörter, die aus früheren Jahrhunderten stammen, Begriffe, die nur in Deutschland oder nur in Österreich benutzt werden. Der Text wird so zum Palimpsest - oder zu einer Geografie aus Wörtern, die von überall her auf mein Papier kommen.

Stoßen Sie dabei auch an Grenzen des Schreibens?
Ich weiß definitiv, ich werde auf Deutsch immer begrenzt sein, ob ich auch 20, 30 oder 100 Jahre in Österreich weile, weil ich schon relativ alt war, als ich die Sprache gelernt habe. Aber darin liegt die Herausforderung: Ich kann alles versuchen, um über meine Grenzen zu gehen, ich muss damit spielen. Schreiben ist wie ein Spaziergang zwischen zwei Welten, und der Text ein Fluss, in dem alles ineinanderfließt und in Bewegung ist.

"Zu der Zeit der Königinmutter" am Akademietheater: eine Bar wird zur Bühne
"Zu der Zeit der Königinmutter" am Akademietheater: eine Bar wird zur Bühne © Burgtheater

Was erzählt Ihr Stück?
Es geht um eine Bar an einem Nicht-Ort, voller Asylanten und Goldsucher, und um eine starke Frau, die ihnen Liebe, Kleidung, alles gibt. Die Leute sind Europäer und gleichzeitig Afrikaner, sie leben am Rande der Sprache und der Menschlichkeit, und sie sprechen über Europa, über Exil und Einsamkeit. Die Welt existiert nicht mehr.

Wir befinden uns bereits in der Postapokalypse?
Hmm. Vielleicht. Im Kongo sagt man: Wir sind schon in der Hölle, wir brennen, aber wir sterben nicht. Auch in dieser Bar sind die Leute die Grausamkeit des Feuers schon gewohnt. Für sie ist es besser, mit einer Fiktion der Vergangenheit zu leben, als eine unbekannte Zukunft vor sich zu haben.

Haben Sie eine Erklärung dafür, warum der Mensch so zur Vergangenheitsverklärung neigt?
Die Vergangenheit ist immer romantisch fiktionalisierbar. Was früher war, war oft schlimm, aber die Angst vor dem, was in der Zukunft kommt, ist größer. Weil es auch eine Angst vor uns selbst ist.

Eine Bar war schon in „Tram 83“ Schauplatz und Angelpunkt des Geschehens. Was fasziniert Sie so an solchen Orten?
Eine Bar ist eine Bühne. Man funktioniert dort nicht wie zu Hause. Man muss mit dem Raum und den Menschen handeln.

Wie kam es denn zu der Zusammenarbeit mit dem Burgtheater? Ist „Zu der Zeit der Königinmutter“ eine Auftragsarbeit?
Nein, das hat sich über die Kontakte von UniT und Edith Draxl ergeben. Ich habe dort zwei Jahre lang Drama studiert, mit Peter Waterhouse als Mentor, im selben Lehrgang mit Ferdinand Schmalz. Es war eine große Chance für mich, da dabei zu sein und auf Deutsch zu schreiben, mit Muttersprachlern über Worte und ihre unterschiedlichen Bedeutungen zu diskutieren. Das Französische etwa ist ja eine Sprache mit einer kolonialen Geschichte, sie ist mit Blut und Gewalt verbunden, also schreibt man auf Deutsch anders über afrikanische Realität als auf Französisch.

Fürchten Sie manchmal, der Autor zu werden, der auf ewig den Europäern Afrika erklären muss?
Ich bin kein afrikanischer oder kongolesischer Botschafter, und ich bin in Graz nicht zufällig. Ich teile meine Erfahrung und wie ich die Welt schaue oder spüre. Was ist mein Schmerz, was mein Glück, was bringt mich zum Schreiben? Bei all dem geht es nicht darum, ob ich aus Afrika oder Europa komme. Ich gehöre einem Ökosystem der österreichischen Literatur an, die Orte, an denen ich Lesungen halte, sind Orte, an denen auch österreichische oder deutsche Autoren lesen. Und als Schriftsteller gehöre ich an den Ort, an dem ich lebe.

Sie fühlen sich nicht vereinnahmt?
Nein. Die Leute sehen meine Arbeit, und die ist mit Österreich, Deutschland und der Sprache verbunden. Ich habe letztes Jahr mit dem Saxofonisten Patrick Dunst eine Oper aufgeführt. Die Leute, mit denen ich arbeite, wissen, dass ich nicht nur Afrikaner bin. Auch in meinen Texten nähre ich mich nicht nur von afrikanischen Quellen. Als Kongolese sehe ich mich zum Beispiel mit der Genealogie der Gruppe 47 verbunden. Der Kongo heute ist wie Deutschland und Österreich nach dem Zweiten Weltkrieg. Alles ist kaputt, wir müssen es wieder aufbauen - auch die Sprache. Die Nachkriegsliteratur ist für mich also eine wichtige Quelle. Weil mich die Frage beschäftigt: Was für eine Sprache kann man nach dem Krieg verwenden? Was bedeutet Schreiben da?

Werden Sie in beiden Sprachen weiter arbeiten?
Ich bin mit einem Roman auf Französisch schon fast fertig, darin geht es um Geografie. Ansonsten arbeite ich an einem Projekt, das mit Ingeborg Bachmanns früher Lyrik zu tun hat. Ich versuche die Sprache von „Die gestundete Zeit“ zu studieren und sprechen zu lernen und würde gern mit Musikern Ingeborg Bachmann performen, Lyrik zum Spektakel machen.