Sein eben erschienenes Buch "Die Obstdiebin" lässt Peter Handke in einem harmonischen Familienfest in der französischen Provinz enden, samt "Festzelttischrede" des eigenbrötlerischen Vaters. Am 6. Dezember feiert Handke seinen 75. Geburtstag. Kaum vorstellbar, dass er ihn in einem Festzelt verbringen möchte. Ihn in Ruhe zu lassen, wäre die größte Freude, die man ihm machen könne, sagt der Dichter.

Vor 75 Jahren in der Kärntner Provinz geboren, lebt Handke seit mittlerweile 27 Jahren in Frankreich, wo er zu seinem Domizil im Pariser Vorort Chaville vor einigen Jahren auch ein einsames Haus in der Picardie erworben hat. Die Reise von hier nach dort ist in "Die Obstdiebin" (Untertitel: "Einfache Fahrt ins Landesinnere") nachzulesen. Seit über einem halben Jahrhundert steht er in der literarischen Öffentlichkeit, in den 60er-Jahren als Kulturautor gefeiert, später wegen seines nicht nur literarischen Eigensinns umstritten und seit langem regelmäßig auf jenen Buchmacher-Listen zu finden, in denen die Wettquoten der Nobelpreis-Kandidaten veröffentlicht werden. Peter Handke ist der prominenteste lebende österreichische Schriftsteller. Über 11.400 Seiten soll die vom Suhrkamp Verlag vorbereitete "Handke Bibliothek" umfassen, in der alles enthalten ist, was er jemals in Buchform veröffentlicht hat. Ein gigantisches Werk.

Peter Handke wurde am 6. Dezember 1942 in Griffen geboren, einem kleinen Kärntner Ort, dem er bis heute verbunden ist. Dass der aus Berlin stammende Ehemann seiner Mutter in Wahrheit sein Stiefvater war und ein verheirateter deutscher Sparkassenangestellter, der um vieles älter war als die Mutter, sein leiblicher Vater - das erfuhr Handke erst im Alter von 18 Jahren. Nach Besuch des katholischen Internats in Tanzenberg und des Gymnasiums in Klagenfurt studierter er ab 1961 in Graz Rechtswissenschaften. Während dieser Zeit fand er Anschluss an die Schriftsteller des "Forum Stadtpark".

Alfred Kolleritsch und Peter Handke
Alfred Kolleritsch und Peter Handke © Verlag Droschl

Erste Publikationen in der Zeitschrift "manuskripte" und erste Lesungen im Radio waren ein hoffnungsvoller Beginn. 1965 gelang es Freunden wie Alfred Kolleritsch, für Handkes Debütroman "Die Hornissen" den renommierten Suhrkamp Verlag zu interessieren, wo das Buch im Frühjahr 1966 erschien. Handke brach sein Jus-Studium ab und lebte fortan als freier Schriftsteller. Sein Stern im Literaturbetrieb ging kometengleich auf, als der nahezu unbekannte Jungautor im April 1966 der Gruppe 47 bei einer Tagung in Princeton in einer erregten Schmährede "Beschreibungsimpotenz" vorwarf. Seinen plötzlichen Ruhm festigte die Uraufführung der "Publikumsbeschimpfung" wenige Monate später durch Claus Peymann in Frankfurt (ein Interview mit Kolleritsch lesen sie hier).

Handke war jemand - ein "Popstar", ein enfant terrible. Seine experimentellen Stücke sorgten für erregte Debatten, Titel wie "Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" (1969) oder "Wunschloses Unglück" (1972) wurden zur Kultlektüre einer ganzen Schüler- und Studentengeneration. Nach seiner Heirat mit Schauspielerin Libgart Schwarz (1967) war der Autor zeitweise Alleinerzieher der 1969 geborenen Tochter Amina. Paris wurde für einige Jahre ständiger Wohnsitz, danach - 1979 bis 1987 - Salzburg. Sein eigensinniger literarischer Weg, der die Sprache, die Wahrnehmung und das Erzählen selbst in den Mittelpunkt stellte, wurde von der Fachwelt und der Kritik mit großer Aufmerksamkeit verfolgt ("Mein Jahr in der Niemandsbucht", "Der Bildverlust" u.v.a.), erreichte aber kaum mehr breite Leserkreise.

Peter Handke im Büro des Bürgermeisters von Griffen Josef Müller
Peter Handke im Büro des Bürgermeisters von Griffen Josef Müller © ORF

In Kontrast dazu stehen die Aufregungen, die Handke, dessen Auseinandersetzung mit den eigenen slowenischen Wurzeln in seinem Stück "Immer noch Sturm" (2011) kulminierte, mit seiner pro-serbische Position in den Konflikten am Balkan und der scharfen Ablehnung der westlichen Haltung verursachte. 1996 sorgte sein Reisebericht "Eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina oder Gerechtigkeit für Serbien" für heftige Debatten, zehn Jahre später seine Rede bei der Beerdigung von Slobodan Milosevic.

Seit 1990 ist die französische Schauspielerin Sophie Semin die Lebensgefährtin des vielfach Ausgezeichneten und mehrfachen Ehrendoktors (u.a. der Unis Klagenfurt und Salzburg, zuletzt im Mai des spanischen Alcala), ihre gemeinsame Tochter Leocadie wurde 1991 geboren.

Neben der Prosa, seiner vielfältigen Übersetzertätigkeit und vier eigenen Filmen (u.a. "Die linkshändige Frau" und "Die Abwesenheit") ist es vor allem das Theater, das Handke immer begleitet hat. Dort verfolgte man seinen Weg von der Sprachlosigkeit ("Kaspar", 1968) zurück in die Sprachlosigkeit ("Die Stunde da wir nichts voneinander wußten", 1992) und weiter zu den Versuchen, seine Kritiker sprachlos zu machen ("Die Fahrt im Einbaum", 1999) stets mit Interesse. Für "Immer noch Sturm" erhielt Handke den Mülheimer Dramatikerpreis 2012.

Claus Peymann ist ihm als Uraufführungsregisseur trotz gelegentlicher Differenzen bis in die Gegenwart treu geblieben. "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" wurde im Vorjahr von Peymann im Burgtheater zur Uraufführung gebracht - eine poetische Konfrontation des Einzelnen mit der Gesellschaft, aber gleichzeitig auch ein Hadern mit sich selbst. Handkes Lebensthema quasi.

"Wir Illegalen. Aber besser illegal als die legalen Gauner weltweit", heißt es in der Rede des Vaters am Ende von "Die Obstdiebin". "Ein Hoch auf das Fest eurer Geburt, Kinder, sanfte Dämonen, gute. Ohne Dämonie wird nichts. Ohne Dämonen keine wahre Geschichte." Die Dämonen feiern mit ihm Geburtstag. Und die "Handke Bibliothek" wartet auf viele weitere Geschichten.