Einhellige Zustimmung erntete gleich die erste Lesung am letzten Halbtag beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt. Eine jüdische Familiengeschichte erzählt Dana Vowinckel von den zwei Perspektiven des orthodoxen Vaters und der pubertierenden Tochter aus – „auf eine schöne Art, mit Wurzel- und Heimatlosigkeit umzugehen“, wie Michael Wiederstein findet. Seine Jury-Kollegen schließen sich dem an: Hier wird „der Topos der gepackten Koffer neu variiert“ (Mara Delius), „die Existenz von parallelen Welten, von einer neuen Generation erzählt“ (Insa Wilke) und Klaus Kastberger, der an erfolgreiche Streaming-Serien wie „Unorthodox“ erinnert, meint: „Ja, es gibt eine Sehnsucht nach alternativen Lebenswelten.“ Michael Wiederstein zieht sogar eine Parallele zu einem weiteren preiswürdigen Bachmann-Teilnehmer, dem ebenfalls aus Berlin kommenden Necati Öziri und seiner Geschichte vom abwesenden türkischen Vater.

Viel erzählt und wenig experimentiert wurde in der diesjährigen Ausgabe des Klagenfurter Wettlesens, das durch die diskussionsfreudige Kritikerriege kurzweilig wie schon lange nicht war. Teils ähnelten die Dispute Slapstick-Szenen, dann wieder hatten sie geradezu Werkstatt-Charakter, der allen, die schreiben, hilfreich sein könnte. „Was macht Literatur politisch, auch ohne dass Politik vorkommt?“ (Brigitte Schwens-Harrant) wurde dabei ebenso erörtert wie die Frage, ob es legitim ist, sprachliche Mittel zu benutzen, die wiederholen, was im Text kritisiert wird (Insa Wilke). Beides tauchte in der Diskussion zum Beitrag von Timon Karl Kaleyta auf, in dem „der kleine Gatsby in der Sprache der Sendung mit der Maus geschildert wird“ (Kastberger). Es gehe dabei um „Gewalt in einem naiven Kostüm“, wie Michael Wiederstein erläutert, der Kaleyta vorgeschlagen hat, um „ein verstörend heiteres Psychogramm von einem Wohlstandsverwahrlosten“.

Nicht nur die Inhalte, auch die Präsentationen waren heuer den Juroren einige Beurteilungen wert. Schon bei der Diskussion um Dana Vowinckels Text mahnt Klaus Kastberger alle zukünftigen Teilnehmer am Bewerb, sich an dem „grandios gelesenen Beitrag“ ein Beispiel zu nehme, nicht künstlich gedehnt und extra langsam zu lesen, sondern dem Rhythmus des Geschriebenen entsprechend. Einer der Höhepunkte an Vortragskunst war ja auch am Vortag der von ihm eingeladene Fritz Krenn mit seinem rasant-humorvollen Beitrag – übrigens ebenso ein Preiskandidat wie Verena Gotthardt, deren Lesung ebenfalls explizit gelobt wurde.

Neben der Präsentation scheint auch die Gestaltung des Vorstellungs-Videos immer stärkere Relevanz für den Gesamteindruck der Autoren zu erhalten. Manche sind authentisch wirkende Interviews, andere Mini-Performances oder stumme, assoziative Bilderfolgen, wieder andere aufwendige Collagen. So auch das Selbstporträt der aus dem Iran stammenden, mit ihrer Familie in Graz lebenden Nava Ebrahimi, die ihren Text „Der Cousin“ las.

Philipp Tingler findet den Text „so mittel“, Michael Wiederstein fragt sich, ob man die Gewalt in dieser „sehr gut gelesenen Geschichte“ überhaupt erzählen kann, und Klaus Kastberger, der die Autorin eingeladen hat, ergänzt: „Wie lassen sich Leid und Schmerz überhaupt darstellen?“

Dörfliche Enge, Rassismus und Naturbilder à la Stifter prägen den letzten Beitrag des Bewerbes. Nadine Schneiders „Quarz“ begeistert nicht nur Vea Kaiser: „Ich habe selten eine so schöne Schilderung des Dorflebens gelesen, grandios!“ „Hinreißend“ findet Philipp Tingler allerdings nur „eines der besten Videos“, den Text belegt er mit Alfred Polgars Diktum von „literarische Kost für Zahnlose“. Zahnlos zeigte sich die Jury heuer jedenfalls nicht. Die Kür der Preisträger wird spannend.