Zu emotional und moralisierend laufen dem Juror Philipp Tingler die Diskussionen zu den Autorenlesungen ab: „Können wir keinen rationalen Diskurs führen?“, fragte er entnervt bei der Lesung von Matthias Senkel, der mit seinem collageartigen Text „einen Bogen von der Eiszeit bis zur Hitzewelle“ spannte (Brigitte Schwens-Harrant), aber nur auf geteilte Zustimmung stieß.

Ist Tingler bei diesem Text noch „passagenweise ins Koma gefallen“, so kritisierte er bei der deutsch-österreichischen Journalistin Hanna Herbst und ihrem „Klagelied“ (Michael Wiederstein) über ein Künstlerleben „krasse Klischees“. Ein Terminus, den er gerne verwendete. So auch beim Grazer Egon Christian Leitner, an dessen mosaikartiger „klassischen Gesellschaftskritik“ (Insa Wilke) der Schweizer Juror „uralte Stereotypen und verstaubte Klischees“ bemängelte. Ebenso erging es dem letzten Lesenden des Tages, dem von Hubert Winkels eingeladenen Levin Westermann, dem Tingler „Klischees, die man schon alle gehört hat“, attestierte, Nachsatz: „Das ist Kitsch, dass die Schwarte kracht.“ Brigitte Schwens-Harrant hielt dem entgegen: „Es geht um die Kraft der Literatur, sie ist das, was uns rettet, ein schöner Abschluss des Tages!“

Helga Schubert
Helga Schubert © ORF

Zum Beginn des Tages gab es gleich einen Höhepunkt unter den bisherigen Lesungen. Und das nicht, weil Helga Schubert 80 Jahre alt ist und schon vor 40 Jahren einmal zum Wettlesen eingeladen war, aber damals nicht aus der DDR ausreisen durfte. In ihrem Videoporträt freute sich Schubert: „Alle Leute, die das damals verboten haben, sind schon tot. Für mich ist das mein Sieg über die Diktatur.“ Mit ihrem autobiographisch gefärbten Text „Vom Aufstehen“ über ihre Mutter, der sie am Ende ihres Lebens deren Grausamkeit verzeiht, fügen sich für Hubert Winkels „die Dinge auf wundersame Weise“. Er bedankte sich für den „schönen Text“ der Autorin, die selbst von 1987 bis 1990 Teil der Jury des Klagenfurter Literaturwettbewerbes war.

Auf Einladung von Insa Wilke kam sie heuer wieder, als älteste Teilnehmerin seit jeher. Berührt von dem Text war eine Mehrzahl der Juroren, und sogar Philipp Tingler schwärmte: „Ich liebe Sie heute, Helga Schubert!“ Auch wenn er sich gleich wieder selbst zur Ordnung rief: „Die Kriterien zur Beurteilung sollten keine emotionalen sein, sondern objektivierbar!“

Am Freitag lesen ab 10 Uhr: Lydia Haider, Laura Freudenthaler, Katja Schönherr, Meral Kureyshi