Virtuell sollen im Pandemiejahr die 44. Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt über die Bühne gehen. Im ORF-Theater in Klagenfurt werden Moderator Christian Ankowitsch, der Justiziar der Stadt und die Kommentatoren Julya Rabinowich und Heinz Sichrovsky sitzen. Die Lesungen der Autoren sind aufgezeichnet, die Juroren sprechen in ihren Wohnzimmern in die Kameras. Übertragen wird live in 3sat und online.

Wo erreiche ich Sie derzeit?
BRIGITTE SCHWENS-HARRANT: Im Homeoffice, da bin ich mit Unterbrechungen seit Mitte März.

Wie war Ihre Reaktion als Sie, die langjährige Berichterstatterin, gefragt wurden, ob Sie die Seiten wechseln wollen?
Zuerst habe ich gezögert, denn ich bin mir der Verantwortung bewusst. Ich war immer für diesen Bewerb, auch wenn ich kritisch berichtet habe. Denn er ist eines der wenigen Formate, wo vom Fernsehen übertragen über Kriterien von Literatur, diskutiert wird, darüber, was gute Literatur ausmacht. Und dass Literatur drei Tage im Mittelpunkt steht, ist einzigartig.

Sie haben mit Juroren-Kollegen via offenem Brief gegen ein Aussetzen der Veranstaltung protestiert. Warum?
Aus damaliger Sicht war uns klar, dass sie nicht vor Ort in Klagenfurt stattfinden kann. Aber alle Kulturveranstaltungen fielen aus. Es war für uns ein Zeichen der Solidarität mit den Kulturschaffenden, dass gerade eine Veranstaltung, die viele übers Fernsehen mitverfolgen, dann eben ausnahmsweise anders stattfinden und wie geplant vom Fernsehen übertragen werden sollte.

Haben Sie keine Sorge, dass sich der Bewerb nach der Austragung via TV und Internet ab kommendem Jahr verändern wird?
Ich habe kein Signal gehört, dass der Bewerb in seiner ursprünglichen Form in Gefahr wäre. Ich hätte für seine Zukunft mehr Sorge gehabt, wenn er ausgefallen wäre. Das Landesstudio betreibt einen enormen Aufwand, um das ursprüngliche Format trotz der Umstände weitgehend beizubehalten.

Werden auch in Ihrem Wohnzimmer, wie angekündigt, die TV-Kameras installiert?
Nein, ich werde in der Österreichischen Gesellschaft für Literatur zu Gast sein und von dort aus zugeschaltet werden.

Was erwarten Sie?
Ich bin gespannt, wie das Diskutieren von Bildschirm zu Bildschirm funktioniert. Aber ich werde das Gegenüber vermissen. Es tut mir auch leid, die Autorinnen und Autoren und die Jury nicht kennenzulernen. Ich habe bis zuletzt gehofft, dass die Jury angesichts der Lockerungen nun doch an einem realen Ort zusammensitzen, man nachher Leute treffen kann. Ich werde mir halt in Wien Gespräche organisieren.

Und das fehlende Publikum?
Es wird der Echoraum fehlen, in dem man reagieren kann. Ich sehe ja nicht, ob die Zuhörer lachen, aufmerksam oder gelangweilt sind.

Welche Auswirkungen wird das heurige Ausnahmejahr auf den Bewerb 2021 haben?
Ich denke, alle werden sich freuen, wenn nächstes Jahr wieder das „Familientreffen“ der Literatur in Klagenfurt stattfinden kann, wieder den Wörthersee zu erleben, die Atmosphäre zu genießen.

Was kann Literatur in Zeiten einer Krise leisten?
Während des Shutdowns ist Literatur oft als Trost benannt worden, als Labsal für die Seele. Das kann sie sein, sie kann aber auch verstörend sein, kritisch, irritierend. Kunst und Literatur sind dann nicht so etwas Harmloses, mit dem man sich tröstet, weil man nicht in die Bar oder ins Kaffeehaus gehen kann! Sondern etwas, das wachrüttelt, vielleicht etwas sichtbar macht.

Was haben Sie zuletzt gelesen?
Ich habe viel Charles Dickens gelesen, dessen 150. Todestag nächste Woche ist. Das ist ein Autor, der massentauglich und unterhaltsam geschrieben hat, gleichzeitig aber immens gesellschaftskritisch. Es ist spannend, zu lesen, wie er die Folgen des Kapitalismus kritisierte, während er selbst sehr gut wusste, wie man mit Schreiben gut verdienen kann. Er ist oft erstaunlich aktuell.

Wie ist Ihr Selbstverständnis als Literaturkritikerin?
Es geht mir grundsätzlich um Haltung und Respekt. Ich habe großen Respekt vor den Menschen, die schreiben, aber auch den Lesern gegenüber. Mit Richtergesten kann ich nicht viel anfangen.