Vielleicht, weil 42 Jahre nicht viel sind im Vergleich zur Ewigkeit, hält sich noch immer das Gerücht, der Bachmann-Bewerb, der morgen in seine 43. Runde geht, sei eine Art Literaturnachwuchsbewerb. Aber Berufsanfänger sind die meisten Autoren bei ihrem Antreten in Klagenfurt schon lange nicht mehr, wie ein Auszug aus der Kandidatenliste der letzten Jahre zeigt: Ferdinand Schmalz und John Wray, Joachim Meyerhoff und Stefanie Sargnagel, Valerie Fritsch, Monique Schwitter, Tex Rubinowitz, Olga Flor und Maja Haderlap sind nur einige der prominentesten unter lauter schon halbwegs bekannten Schriftstellern.

Dass ein Autor wie Daniel Heitzler, der bisher noch gar keinen Text veröffentlich hat, heuer zum Wettlesen eingeladen wurde, ist die große Ausnahme. Tom Kummer zum Beispiel war schon einmal richtig berühmt. Mindestens so berühmt wie Claas Relotius, der zur letzten Jahreswende als Fälscher aufflog, weil er dem „Spiegel“ jahrelang erfundene Reportagen verkauft hat.

Kummers Skandal ist schon etwas älter, anno 2000 stellte sich heraus, dass er dem Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ und anderen Medien jahrelang erdichtete Interviews mit Hollywood-A-Listern wie Sharon Stone, Kim Basinger, Brad Pitt untergejubelt hatte. Einigermaßen erstaunlich: Dass ihm so viele Stars mit wirklich außergewöhnlicher Offenheit ihre innersten Privatangelegenheiten (und manchmal ihre Brüste) unter die Nase gehalten haben sollten, war offenbar nie jemandem aufgefallen. Natürlich war der Schweizer, als Starschreiber für Zeitgeist-Bibeln der 80er und 90er-Jahre von „Tempo“, bis „Vogue“ bis dahin eine Art Popstar der Branche, danach erst einmal desavouiert. Besonders zu reuen schienen ihn seine Betrügereien aber nicht, lieber sprach er in Interviews und Essays von der „Implosion des Realen“ in seiner Arbeit.

Objektivität, Wahrheit und Wirklichkeit seien bloß ein Konstrukt der Medien, stellte er später auch in der Filmdoku „Bad Boy Kummer“ von Miklós Gimes fest. Der Stoff ist gut? Dann scheiß auf die Authentizität! So rechtfertigen sich Hochstapler. Man könnte natürlich auch sagen: Wer sich derart der Fiktion anbiedert, sollte statt Reportagen und Interviews lieber Romane schreiben.

2017 veröffentlichte Kummer „Nina & Tom“, darin erzählt er von der Liebesbeziehung zu seiner Frau und von ihrem Sterben an Krebs. Kritiker von „FAZ“ bis „Zeit“ lobten Wortgewalt und schonungslose Offenheit des Romans. Dann stand in der „Süddeutschen Zeitung“, Kummer habe besonders wortstarke Passagen quasi Buchstabe für Buchstabe aus Texten etwa von Frederic Beigbeder, Richard Ford, Kathy Acker übernommen. Doch der Skandal blieb diesmal eher aus. Vielleicht deswegen: „Nichts wäre sinnloser“, schrieb Tobias Kniebe in seiner Buchbesprechung, „als einem Mann noch einmal Plagiate vorzuhalten, der schon mehrfach des Fälschens und Abschreibens überführt wurde und das Klauen schöner Sätze einfach als seine persönliche Montagetechnik begreift.“ Vielmehr sei zu bedauern, dass Kummer in all den Jahren nicht gelernt habe, der eigenen Erzählkunst zu vertrauen. Auf Einladung von Juror Michael Wiederstein liest Kummer nun in Klagenfurt aus einem neuen Text. Es wird sich zeigen, ob der einstige Hochstapler seiner eigenen Autorenstimme endlich auf die Spur gekommen ist. Oder ob ihn das überhaupt interessiert.