Wie soll man leben? Die Frage wird gegenwärtig bis zum Überdruss durchgekaut. Und weil allenthalben neue moralische Normen und Verhaltensregeln diskutiert werden, ist es nur verständlich, dass man allergisch auf das Belehrende reagiert, wenn es auch noch die Kunst in Beschlag nimmt. Es nervt. Nun kommt Bohuslavs Martinus „Griechische Passion“ jedoch zweifelsfrei ausgerechnet mit der Moral ums Eck.
Die 1959 nach dem Roman „Christus wird wieder gekreuzigt“ von Nikos Kazantzakis komponierte Oper handelt dies an einer Dorfgemeinschaft ab, die ihr traditionelles Laientheater aufführen möchte: Ein Passionsspiel von einfachen Menschen, deren Denkungsart wenig abstrakt ist: Für den Händler Yannakos ist es eine besondere Ehre, dass der Jesusdarsteller auf seinem Esel nach Jerusalem einreiten wird. Schmied Panais empört sich dagegen, dass ihm die Rolle des Judas zugeteilt wird, und Katerina, die nicht nur in den Köpfen, sondern wohl auch in den Betten mancher Bewohner gegenwärtig ist, wird zur Maria Magdalena bestimmt. Das Reale und das Vorgestellte laufen da schon recht deutlich ineinander.
Weil eine Gruppe Flüchtlinge um Unterschlupf bittet, verwandelt sich das dörfliche Brauchtum aber allmählich in blutigen Ernst. Die Nächstenliebe wird durch den Anlassfall dem Praxistest unterzogen, was die Dorfgemeinschaft natürlich nicht stärkt, sondern erwartungsgemäß schnell erodieren lässt. Angeführt wird die grau gekleidete Masse vom Priester Grigoris, den Regisseur Simon Stone als Demagogen zeichnet.

Der Hirte (!) Manolios dagegen identifiziert sich immer stärker mit Christus, diskutiert mit seinen „Jüngern“ Glaubensdinge, wird von erotischen Qualen gebeutelt und kommt letztlich zur Erkenntnis, dass die bestehende Weltordnung dringend abgeschafft gehört. Das ist freilich zu starker Tobak: Die Passionsgeschichte wiederholt sich, der Fanatiker, Unruhestifter und kompromisslose Menschenfreund Manolios wird von den Dörflern ermordet, die Flüchtlinge müssen weiterziehen.