Mit ihrem ebenso witzigen wie gescheiten Menschenpanorama "Mädchen, Frauen etc." begeisterte Bernardine Evaristo Kritik und Leserschaft und gewann 2021 als erste schwarze Autorin den Booker-Preis. Nun liegt mit "Mr. Loverman" der Vorgänger-Roman auf Deutsch vor. Und bereits in diesem spielt die britische Schriftstellerin jene Qualitäten aus, die ihre Bücher kennzeichnen: Eine völlig ungezwungene Kombination aus Leichtfüßigkeit, ja Schnoddrigkeit im Ton und tiefgehender, blitzscharfer Gesellschaftsanalyse; wobei bei Evaristo immer das Individuum in all seiner Ambiguität im Mittelpunkt steht.
"Alle zeigen wir der Welt sorgsam kuratierte Versionen unserer selbst." Dieser Satz könnte der Leit- und Lebensspruch des Ü-70ers Barry Walker sein, der mit seiner Frau Carmel ein auf den ersten Blick beschauliches Leben im Norden Londons führt. Doch hinter den Fassaden wartet schon die Abrissbirne. Das Paar wanderte einst aus Antigua nach England aus, die Ehe ist längst eine Farce, die beiden Töchter haben mehr Persönlichkeit, als ihnen guttut, Carmel hält sich an Gott fest und Barry selbst an einer Lebenslüge. Denn in Wahrheit liebt er seit Jugendtagen seinen Freund Morris, zu dem er sich jetzt endlich bekennen will, bevor es zu spät ist.
In diese herz- und lachmuskelzerreißende Coming-of-Age-Story verpackt Evaristo mühelos brennende Themen wie Rassismus, Feminismus, Kolonialismus und Gentrifizierung. Trockener Humor, ausgelassener Sprachwitz, sanfte Ironie und große Sympathie für die Unzulänglichkeiten ihrer Figuren zeichnen diesen vergnüglich-klugen Roman aus.
Buchtipp: Bernardine Evaristo. Mr. Loverman. Tropen,
330 Seiten, 25,50 Euro.