Es sind beklemmende, rätselhafte und bedrohliche Wortwelten, die die österreichische Schriftstellerin Carolina Schutti in ihren meist schmalen, aber umso intensiveren Romanen erschafft. Und meist geht es um poröse Menschen in einer raubeinigen Welt, die sich ihre eigenen Wirklichkeiten schaffen, um das Grobfasrige zu überleben.
Auch der neue Roman „Meeresbrise“ führt in einen düsteren Korridor. Die Rahmenhandlung: Zwei Schwestern und deren Mutter leben in einem Dorf. Die Väter sind tot; von einer Brücke gesprungen der eine, nach der gewaltsamen Zeugung verschwunden der andere. Weder die Menschen noch der Ort haben Namen, die Zeit könnte man in den späten 1980er-Jahren festmachen.
Die Sprache von Schutti ist auf das Wesentliche skelettiert, die Sätze atmen eine spröde Endzeitpoesie aus. Die beiden unzertrennlichen Mädchen bauen imaginäre Puppendörfer, streunen durch die Wälder, sind wahlweise Prinzessinnen oder „Hurenmonster“. Die Mutter stockt das Sozialgeld mit Telefonsex auf. Scham, Schande, Vereinsamung, Verrohung, Ausgrenzung – und als Gegengift Lügen, Erfindungen und eine Märchenwelt, in der sich Kinder und Erwachsene verstecken.
Vielsagende Leerstellen
Carolina Schutti verweigert sich der Eindeutigkeiten und der Schuldzuweisungen. Dieses Schweben und nur die Ahnung des Abgrunds erzeugen eine unglaubliche und mitunter unheimliche Sogwirkung. Literatur, die berührt, weil sie die Finger auf die Fragilität des Lebens legt.
Das nicht Gesagte oder besser nicht Geschriebene macht den großen Reiz dieser unaffektierten Schreibweise aus. Die Leerstellen, die vielsagender sind als jedes Wort. Das ältere der Mädchen beginnt schließlich damit, das Lügenkonstrukt zu zerstören, das Puppenhaus zu demolieren, und beschließt, die Wirklichkeit zu suchen, was auch immer das genau sein mag.
Die titelgebende „Meeresbrise“ ist übrigens nur der Geruch einer Seife. Die Kernfrage – „Wie befreit man sich aus einer Lüge? – bleibt ungeklärt. Carolina Schutti ist nicht für laute Antworten zuständig, sondern für das leise, feinfühlige, aber genaue Abtasten von Bruchstellen.
Buchtipp: Carolina Schutti. Meeresbrise. Droschl.
117 Seiten, 21 Euro.
