Zuerst „GRAM“, jetzt also „RCE“. Die Weltuntergangsszenarien von Sibylle Berg sind, wortreich, schonungslos und unbarmherzig, nur die Titel-Abkürzungen. „RCE“, der zweite Teil ihrer Dystopie-Trilogie, steht für „Remote Code Execution“, also für einen Angriff aus der Ferne auf Computer und andere Technologien.

Natürlich liegt die Welt auch diesmal wieder – oder besser: noch immer – im Argen: Die Erde wird auf multiple Weise geschändet, der überwachte Mensch ist dauererregt, der Kollaps naht nicht, wir sind mittendrin. Fünf Computer-Nerds, die sich sinnigerweise „die Freunde“ nennen, obwohl es diese Art von Beziehung in der erodierenden Berg-Welt gar nicht mehr gibt, unternehmen einen letzten Versuch, den ächzenden Planeten zu retten.

Ihr Plan: Sie wollen ein globales Netzwerk aufbauen, das ihnen erlaubt, auf Computer zuzugreifen – mittels „RCE“ eben – und zu manipulieren – zum Guten hin. Ob der Plan aufgeht und die Rebellion der idealistischen Freaks gelingt, bleibt offen. Aber, so viel sei verraten, es zeichnet sich ein schmaler Lichtstreif ab in der Düsternis.

Endzeit-Suada

Dem Befund von Sibylle Berg ist schwer zu widersprechen, und im Grunde sind das auch keine Zukunftsbeschreibungen, sondern Gegenwartsdiagnosen. Der erschöpfte Mensch, angstbesessen und wutschäumend, ist Realität. „Es war alles – zu viel“, heißt es an einer Stelle dieses Romans. „Zu viel Netz und Hormone, Panik, Adrenalin und Mitteilungen.“ Und weiter, auch dies ist ein Faktum: „Die Menschen handelten kollektiv gegen alles, was ihnen ein Wohlbefinden bereiten könnte – gegen Ruhe, Entspannung und Müßiggang.“

Wie schon „GRM“, ist auch „RCE“ eine sprachmächtige, knapp 700 Seiten starke Endzeit-Suada. Der Berg-Sound ist ein mitreißender, zuweilen mühsamer Mahlstrom; ein Spiegelbild der tief zerklüfteten Welt am Abgrund, die hier geschildert wird. Und darin liegt auch das Problem, die Schwachstelle, wenn man so will, dieser Schriftstellerin: Dadurch, dass ihr Ton so schrill und überdreht ist, verliert der Wahnsinn oft die Wirkung, die er verdient hätte. Ist das jetzt also ein großartiger Roman oder gehypte Edel-Depression? Wohl beides.

© KK

Buchtipp: Sibylle Berg. RCE. Kiepenheuer & Witsch,
695 Seiten, 26,90 Euro.