Früher einmal probten die Song-Contest-Hoffnungen daheim in ihren Ländern für den großen Abend vor 200 Millionen Zusehern, längst gehören Vorveranstaltungen mit Konzerten zum Countdown im ESC-Zirkus. Nach Barcelona, London, Tel Aviv und Amsterdam fand gestern Abend das letzte Pre-Event vor der "wirklichen" Eurovisionswoche in Italien statt.
"Diese Pre-Partys vor Publikum waren eine extrem wertvolle Erfahrung. Jetzt stehen bis Mai freilich noch viele Proben auf dem Plan, aber es muss auch Zeit bleiben, damit ich mich mental auf den großen Tag vorbereiten kann", erklärt die bis dato unbekannte Sängerin Pia Maria aus Innsbruck als Österreichs ESC-Hoffnung.

Der 18-Jährigen, die 2021 eine Ausbildung zur Maskenbildnerin abschloss, am Tiroler Landestheater beschäftigt ist und vor der Kür zur ESC-Vertreterin vom ORF noch auf keiner großen Bühne gesungen hat (bis auf Schulveranstaltungen), dienten diese Pre-Events zum "Warmlaufen". Was notwendig war, wie die Kommentare auf Youtube zu den Videos der internationalen Auftritte zeigen, etwa nach der Performance vor 3500 Besuchern in einer Arena von Tel Aviv im Rahmen von "Israel Calling".

"Israel Calling" war für DJ Lumix & Pia Maria eine wichtige Erfahrung; hier in Jerusalem am Tag vor dem Livekonzert in Tel Aviv
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Die mit 150 Beats per Minute schnell dahin galoppierende Dancepop-Nummer "Halo" ist laut Vocalcoach Monika Ballwein "eine stimmliche Herausforderung, weil erstens die Hookline sehr hoch ist und es mit den vielen unterschiedlichen Strophenteilen ohnehin wenig Atempausen zulässt".


Wie sehen die Wettquoten aus? Die Buchmacher prognostizieren für Österreich mit DJ Lumix & Pia Maria einen Finaleinzug. "Ich lebe derzeit meinen Traum. Es ging von null auf 100. Wir werden die ESC-Arena in Turin mit 'Halo' zu einer Partyhalle machen", sagt die Tirolerin.

Welche Trends zeichnen sich aber im 66. Jahr des größten Wettsingens ab? Nach dem Sieg der italienischen Glam-Rocker Måneskin im Vorjahr sind viele Bands am Start – wie The Rasmus aus Finnland, die 2003 mit "In the Shadows" einen Welthit landen konnten, Circus Mircus aus Georgien oder Reddi aus Dänemark. Und es fahren überraschend viele männliche Interpreten mit schwermütigen Balladen nach Turin. Der Australier Sheldon Riley versteckt sich in seinem Selbstbefreiungssong die meiste Zeit hinter einem "Gesichtsvorhang" aus Eisenketten. "Hoffnung", wie bei Stefan aus Estland, ist zudem ein beliebtes Thema.

Österreichs Duo Lumix & Pia Maria (Mitte) mit dem Australier Sheldon Riley und Kroatiens Mia bei der Pressekonferenz in Tel Aviv
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Auffällig ist zudem die (freiwillige) Rückkehr zur Landessprache – oder gar zur regionalen Kultur: Frankreich etwa nimmt zum zweiten Mal (nach 1996) mit einem Titel auf Bretonisch teil ("Fulenn"), der als ungewöhnliche Mischung aus Folk und Elektro-Trance in den Wettbüros hoch gehandelt wird. Aber auch die serbische Avantgarde-Künstlerin Konstrakta (die sich auf der Bühne in ihren drei Minuten ständig die Hände wäscht), die slowenische Schülerband LPS, das ukrainische Sextett Kalush Orchestra, Monika Liu aus Litauen oder das isländische Country-Schwesterntrio Systur treten in ihrer Muttersprache an.

Australiens ESC-Hoffnung Sheldon Riley nachdenklich in Jerusalem: ohne Gesichtsvorhang
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Die Ukrainer, die sowohl nach Tel Aviv, Amsterdam als auch Madrid gereist sind, dürften das Televoting gewinnen. Bei den Fachjuroren sehen Insider das italienische Duo Mahmood & Blanco und die Schwedin Cornelia Jakobs vorne. Kurios, aber nicht zum ersten Mal: Malta wechselte nach schlechten Wettquoten das Lied für die schöne Emma Muscat aus.

"Israel Calling" brachte das Kalush Orchestra aus der Ukraine heraus; für die Musiker ging es von Tel Aviv weiter nach Amsterdam und Madrid
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Emma Muscat beim Besuch von Jerusalem im Rahmen von "Israel Calling": Sie tritt nun mit "I am what I am" für Malta in Turin an
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Kleine-Zeitung-Redakteur Christian Ude (l.) mit Malik Harris, der für Deutschland heuer Punkte holen will, in der "City of David" beim Jerusalem-Besuch
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