Ich mache aus einem Mückstein keinen Elefanten, wenn ich sage, dass Sebastian Kurz nicht so richtig lag, als er Ende Juni das Ende der Pandemie für alle verkündete. Gut, Kurz hat heute andere Probleme, aber wir alle ein vergleichsweise größeres. Ich kenne Menschen, die schon an Long-Covid-Folgen litten, als es das Virus noch gar nicht gab. Es gibt solche Trendsetter, die auf Karten setzen, lange, bevor es das dazugehörige Kartenspiel gibt. Gates, Zuckerberg, Musk und wie diese Herren alle heißen. Visionäre. Ich bin schon froh, wenn ich morgens weiß, was ich zu Abend essen will.

Als Kind weckte mein Vater mich jeden Morgen mit der Frage: „Willst du ein Ei, oder nicht?“ Er riss mich aus dem Tiefschlaf und innerhalb einer Sekunde sollte ich antworten. Benommen rief ich „Ja“ oder „Nein“ und am Frühstückstisch, schon etwas munterer, musste ich meine umnebelte Entscheidung ausbaden. Musk hätte seinem Vater sicher geantwortet: „Ich will ein Ei, sunny side up, aber auf dem Mars!“ Und Zuckerberg hätte, kurz bevor sein Vater den Raum überhaupt betrat, gerufen: „Ich like Eier, benenne sie aber um in ‚Meta‘ und habe noch viel vor mit dem globalen Ei!“ Und Gates? „Ich will kein Ei, ich will das Huhn!“ So genial war und bin ich nicht. Ich träumte als Kind manchmal davon, dass mein Vater die Eier-Frage stellte und im Traum entschied ich mich immer falsch.

Mein Vater wollte einmal in Frankreich ein Ei zum Frühstück haben, sprach aber kein Französisch. Er radebrechte und gestikulierte und machte schließlich das Gackern eines Huhns nach. Nach zwanzig Minuten hatte er ein Coq au Vin am Frühstückstisch stehen. Da musste ich sehr lachen und sagte zum Kellner: „Et pour moi un oeuf, cinque minutes.“
Mein Vater blickte mich neidisch an, schob mir das Huhn hin und krallte sich mein Ei. Aber es war eine Genugtuung für mich, ihn in der Eiercausa besiegt zu haben. Man kann in Eiern übrigens Grippeviren züchten, erklärte mir ein Virologe. Das war zu einer Zeit, als man Virologen noch nicht so gut kannte. Heute sind Virologen so berühmt wie Helene Fischer, nur mit dem Unterschied, dass sie mehr Morddrohungen bekommen. Weil sie emotionslos und wissenschaftlich erzählen, auf Fakten basiert. Das macht QAnon-Studenten wahnsinnig, dass Virologen sie nicht darin bestätigen, dass wir alle von kinderfressenden Echsen in der Gestalt von Soros und Gates und Hillary Clinton regiert werden.

Ich denke, viele QAnon-Jüngerinnen leiden unter Long Covid und das schon, bevor Covid auftrat. Ich mache nicht lustig über sie, sondern mir nur Sorgen. Weil es für das Gehirn eine komplexe Anstrengung bedeutet, kompletten Quatsch in Wahrheit umzudeuten. Noch anstrengender, als auf nüchternen Magen und mit schlafendem Gehirn die Frage zu beantworten, ob man ein Ei zum Frühstück haben will oder lieber nicht. Heute weiß ich, was ich damals hätte antworten sollen. „Ich kann es dir noch nicht sagen. Du hast mich aus einem Traum gerissen und ich bin noch nicht fähig, derart komplexe Fragen zu beantworten. Frag mich später noch einmal und zur Not, wenn ich unbedingten Gusto auf ein Ei habe, kann ich es mir auch selbst machen. Un oeuf, cinque minutes.“