Christos Neffe Wladimir Jawaschew blickt von der Terrasse seines Pariser Büros im sechsten Stock eines Bürohauses auf der Avenue de la Grande Armée direkt auf den Triumphbogen. Am Bauwerk hängen angeseilte Menschen in orangefarbenen Arbeitsanzügen und aus der Ferne wirkt es, als ob sie schwebten. Sie verzurren die Kordeln, machen die letzten Knoten, die die 25.000 Quadratmeter Stoff in Form halten werden. An den Wänden des Büros hängen detaillierte Zeitpläne, mehrere Meter lang, die ahnen lassen, dass es kein Kinderspiel ist, Frankreichs wichtigstes Monument zu verpacken.  

Jawaschew, 48, trägt wie die meisten Mitarbeiter Bergsteigerschuhe. Drei Jahrzehnte lang war der gebürtige Bulgare der Assistent von Christo und seiner Lebens- und Kunstpartnerin Jeanne-Claude. Alles sei genau nach den Plänen des berühmten Onkels umgesetzt worden, versichert er: „Christo hatte jedes Detail festgelegt, er hat sich den Stoff ausgesucht, derselbe wie bei der Verpackung des Reichstags, er hat die Farben ausgewählt.“ Jawaschews Botschaft lautet: Christo ist tot, seine Kunst lebt.  

Ob verhüllte Bäume, Brücken oder ganze Gebäude, für das berühmte Künstlerpaar gab es zwei unterschiedliche Phasen: die Vorbereitung, solange alles nur ein Hirngespinst ist, die mitunter Jahre und Jahrzehnte dauerte, und der Moment, wenn es steht, aus einem Projekt ein Werk geworden ist. Im Fall des Pariser Triumphbogens hat die erste Phase sechs Jahrzehnte gedauert. 1962 sei er auf die Idee gekommen, erzählte Christo in einem seiner letzten Interviews sechs Monate vor seinem Tod Ende Mai vergangenen Jahres. Er hatte das kommunistische Bulgarien vier Jahre zuvor verlassen und lebte damals in Paris in einem winzigen Dienstmädchenzimmer unter dem Dach, das Mansardenfenster seiner Bude ging auf den Triumphbogen. Jeder möge das interpretieren, wie er wolle, so Christo, dann fügte er hinzu: „Das Werk zeigt sich uns.“ Sein Neffe formuliert es so: „Christo ist in Paris Christo geworden. Vorher hat er mit seinem Familiennamen seine Werke unterzeichnet.“ 

Pure Poesie

Der Wrapped Arc de Triumph ist fertig und es ist pure Poesie: unnötig, aber schön. Bezaubernd, bewegend, berührend. Je nach Wetter und Lichteinstrahlung strahlt er oder verschwimmt mit seinen Konturen im grauen Regenhimmel. Er steht da, vertraut wie eh und je, und doch nicht wiederzuerkennen: Versteckt und doch enthüllt, verborgen und doch im Scheinwerferlicht, ganz so, als würde erst die Tatsache, dass sich das Bauwerk dem Blick entzieht, dafür sorgen, dass man es zum ersten Mal richtig sieht. Vielleicht ist es das Paradox, das aus 25.000 Quadratmetern Stoff Kunst macht.  

Ein Geschenk

Alle Assoziationen sind jetzt möglich: „Er ist ein Geschenk für alle Pariser, für alle Franzosen und alle Besucher“, sagt Frankreichs Kulturministerien Roselyne Bachelot. Man darf das wörtlich nehmen. Der Triumphbogen wirkt wie ein hübsch verpacktes, gigantisches Geschenk, das für die kurze Zeit von zwei Wochen Kunstfreunden wie zufälligen Passanten ein ästhetisches Erlebnis verschafft, das es umsonst gibt, ohne Eintrittskarte, ohne Warteschlange. Unter den Bögen des Bauwerks wiederum, die ebenfalls verhüllt sind, fühlt man sich wie in einer säuberlich ausstaffierten Schatulle. Als sei der Betrachter selbst das Kostbarste in diesem Werk. 

Man kann in diesem vorübergehenden Kunstwerk auch eine Frau sehen, die sich ein Gewand übergestreift hat, tausende Quadratmeter groß, außen Silber glänzend, innen ein helles Blau, das leicht durchschimmert, gehalten durch eine drei Kilometer lange, rote Kordel. Obwohl das Gewebe aus Polypropylen beim Berühren fest wie eine Lastwagenplane wirkt, fällt es an dem Baukörper hinunter wie ein zartes Plisseekleid. 

Blau, Weiß, Rot? Das sind natürlich die Farben der französischen Nationalflagge, die Christo im Sinn hatte. Jeden Abend wird am Grab des Unbekannten Soldaten die ewige Flamme der Erinnerung neu entzündet, eine Zeremonie, die die Arbeiter zur Pause zwang, während das Orchester der Republikanischen Garde die Marseillaise spielte.  

Pont Neuf und Reichstag

„Christo und Paris, das ist eine lange Geschichte“, so die Pariser Bürgermeisterin Anne Hildalgo auf einer Pressekonferenz zur Eröffnung. Christo hatte in Paris Zuflucht gefunden, dort Jeanne-Claude kennengelernt und 1962 gemeinsam mit ihr in der Rue Visconti ihre erste Installation im öffentlichen Raum umgesetzt, den „Eisernen Vorhang“. 1985 verhüllten beide den Pont Neuf in goldschimmerndem Geweben aus Polyamid. Zehn Jahre später folgte der Berliner Reichstag, dessen Türme zehn Meter niedriger als der Triumphbogen sind. Damals hatte er noch keine Kuppel. 

Schrei der Freiheit

„Jedes unserer Werke ist ein Schrei der Freiheit“, pflegte Christo zu sagen. Gemeint war nicht nur die Freiheit, die ihm im kommunistischen Bulgarien fehlte. Er nahm sich die Freiheit, die Kunst dort zu sehen und zu verwirklichen, wo sie niemand vermutete. Aber es war auch die Freiheit, weder von privaten noch öffentlichen Sponsoren abzuhängen. Auch dieses Mal wird das 14 Millionen Euro teure Projekt durch eine Auktion von Christos Plänen und Zeichnungen finanziert. Bis zum 3. Oktober kann man Christos Triumph der Kunst über den Tod bestaunen. An den beiden Wochenenden sogar ohne Autos. Der Place Charles-de-Gaulle und auch die Avenue der Champs-Elysées werden für Fahrzeuge gesperrt sein. Vielleicht wird es ein riesiges Picknick geben, wie damals in Berlin. Ein Teil des Kunstwerks sind schließlich die Menschen.