"Der Weg ins Freie" führte nicht im Kreis, nicht in die Sackgasse, aber doch in bekannte Gefilde: Mit dem Saisonstart zeigte das Theater in der Josefstadt gewohnte Qualitäten. Nämlich Ernsthaftigkeit des Anliegens, Geschlossenheit im Spiel des Ensembles, Konzentration auf literarische Form und politische Aussage. Alles beim Alten also in der neuen Saison. Inklusive gediegener Ausführlichkeit auf der Bühne und Schlampigkeit beim Maskentragen bei Teilen des Publikums. Das Theater in der Josefstadt, das in die 16. Spielzeit der Direktion von Herbert Föttinger geht und seiner eigenen Geschichte gerade mit einem Prachtband ein bibliophiles Denkmal gesetzt hat, sieht sich zu Recht als legitime Hüterin eines Weltkulturerbes: Kaum jemand scheint prädestinierter, die einzigartige Atmosphäre in Wien um 1900 für die Nachwelt zu bewahren. Und kaum einer hat sie besser festgehalten als Arthur Schnitzler, zerrissen zwischen seinen Identitäten als Arzt und Künstler, Ehe- und Lebemann, angesehenes Mitglied der bürgerlichen Gesellschaft und hellsichtiger Analytiker ihrer charakterlichen und politischen Schwächen.

Dieser Abend, der freilich um einiges zu ausführlich geworden ist, zeigt aber gleichzeitig die fortdauernde Gültigkeit seiner Diagnosen: Keine Besserung in Sicht. Susanne Wolf hat im Auftrag der Josefstadt Arthur Schnitzlers 1898/99 spielenden und 1908 erschienenen Roman "Der Weg ins Freie" dramatisiert und dabei mit Tagebucheinträgen des Autors sowie politischen Stimmen aus der Zeit angereichert. Entstanden ist ein in wesentlichen Teilen an den Jours fixes im Salon des jüdischen Industriellen Ehrenberg spielendes Konversationsstück, in dem zwei Handlungsstränge miteinander verwoben sind, von denen bereits Schnitzler selbst zugab, dass "der Zusammenhang kein absolut notwendiger sein mag". 

Bühnenbildnerin Karin Fritz hat für diesen zentralen Schauplatz einen an Stahlseilen herabsenkbaren Salon ersonnen, ein bürgerliche Heimeligkeit verströmendes großes Wohnzimmer, unter dem sich eine Art Keller oder Bunker befindet, der abweisende Kühle ausstrahlt. Die beiden Szenenbilder werden jedoch nicht immer stimmig gewechselt. Im Salon wird freundschaftlich gestritten, Joseph Lorenz, Julian Valerio Rehrl und Tobias Reinthaller zeigen verschiedene Facetten einer Gesellschaft, die unter der schönen Fassade immer tiefere Risse aufweist. Schlüsselfigur dabei ist die Gastgeberin, die Elfriede Schüsseleder trocken und pointiert anlegt: Während sich ihr Gatte Salomon (Siegfried Walther) keine Illusionen über das Kommende macht, ist sie ängstlich darauf bedacht, dass im Salon der Ton immer freundlich, der Inhalt oberflächlich bleibt. Sobald die Gäste zu politisieren beginnen, wird sie immer sehr müde. Dem Theater in der Josefstadt unter Herbert Föttinger kann man das wohl nicht vorwerfen. Auch wenn man tatsächlich sehr froh war, nach fast drei Stunden endlich den "Weg ins Freie" antreten zu dürfen. An die frische Luft.