Immerhin 55 Minuten für 87 Worte. So lange benötigt Komponist Morton Feldman, um Samuel Becketts „Libretto“ zu „Neither“ darzustellen, das ihm der Dichter auf einer Postkarte zukommen hatte lassen. Kein Gedicht, eher eine Kette von rätselhaften Bildern und Assoziationen über „innere und äußere Schatten“, „unhörbarer Schritte einziges Geräusch“ und die „unaussprechliche Heimat“. Feldman näherte sich solchem mit seiner scheinbar einfachen, aber mit komplexen Mischungen und merkwürdiger Metrik arbeitenden Musik, um eine „Existenz zwischen Schatten“ begreifbar zu machen. Die Musik ist so eigenständig wie enigmatisch, geprägt von sich variierend wiederholenden oder voneinander abgesetzten Figuren und einer hoch darüber schwebenden Stimme: Der Sopranpart der 1977 uraufgeführten Oper ist abenteuerlich schwer.

Wer glaubt, die rätselhaften Schemen, diese liegenden und kauernden Soundobjekte, seien Versenkungsklänge, hat die Interpretation in Salzburg nicht gehört. Der für Ilan Volkov eingesprungene Dirigent Roland Kluttig nimmt von Anfang ein schnelles Tempo und benötigt mit dem RSO Wien nur 46 Minuten. Sie sind enorm ereignisreich und dicht. So dramatisch, so spannungsreich vibrierend hat man Feldman selten gehört. Es ist nichts weniger als eine Entmystifizierung voll überraschender Details, die dem Chef der Grazer Philharmoniker gelingt. Er macht aus „Neither“ das, was es im Untertitel vorgibt, eigentlich zu sein: eine Oper. Natürlich kann „Neither“ nur gelingen, wenn eine Sopranistin wie Sarah Aristidou am Werk ist, die den zum Zerreißen gespannten Vokalpart nicht bloß bewältigt, sondern mit Expression und Sinnlichkeit auflädt.

Der Sternstunde war noch eine schöne Interpretation von Feldmans „String Quartet and Orchestra“ mit dem RSO und dem Minguet Quartett vorausgegangen.