Unsere Gesellschaften sind Gesellschaften ohne Zukunft. Das wage ich einmal zu behaupten. Wir haben keine realistische Hoffnung, dass die Zukunft besser werden könnte. Wir haben keine Szenarien, wie das aussehen könnte, und es gibt – entschuldigen Sie, Herr Vizekanzler! – sehr wenige Politiker, die den Mut haben, mit irgendeinem Szenario, mit einer Vision vor ihre Wählerinnen und Wähler zu treten und zu sagen: So könnte dieses Land aussehen, wenn wir uns bemühen.

Stattdessen ist die höchste Ambition unserer westlichen Gesellschaften im Prinzip der Statuserhalt geworden. Innerhalb von einer Minute schmelzen im Moment eine Million Tonnen Grönlandeis ab und innerhalb einer Minute werden 30 Fußballfelder Regenwald vernichtet. Wenn also die Frage lautet: Wie geht eigentlich Zukunft? Dann lautet die Antwort: So geht Zukunft nicht. Ich bin aber Historiker, und als solcher versuche ich immer, von den Ursprüngen der Dinge zu erzählen. Und dieser Wahnsinnstrip, den das Tier „Homo sapiens“ da hinlegt, ist es schon wert, noch einmal genau angesehen zu werden.

Was wir heute erleben, ist eigentlich eine sehr alte Idee. Sie finden sie schon vor knapp 3000 Jahren, als ein anonymer Autor in einem dicken Buch einem Gott die Worte in den Mund legte: „Macht euch die Erde untertan.“ Dieser Satz war eine Art mythologische Atombombe. Aus diesem biblischen Glaubensprinzip ist in der Aufklärung etwas anderes geworden, aber nicht etwas sehr anderes. Es ist eigentlich nur umetikettiert worden. Denn aus der Idee, dass der Mensch in Gottes Auftrag die Natur beherrscht, ist die technische, wissenschaftliche Naturbeherrschung geworden. Aber die Idee der Naturbeherrschung selbst wurde nicht infrage gestellt. Das ist erstaunlich, dass dieses Axiom in unserer Geschichte so wenig infrage gestellt wurde.

Ja, es gab schon immer Denkerinnen und Denker, die anderes gesehen und gewollt haben, aber das beherrschende Paradigma war ohne Zweifel das der Naturbeherrschung. Das hat uns den Fortschritt gebracht, der uns heute erlaubt, in einem schönen belüfteten und gekühlten Theater zu sitzen, gute Zahnmedizin zu haben und übrigens auch Demokratie zu haben, denn Demokratie kostet eine Menge Geld. Es ist kein Zufall, dass fast alle Demokratien in Europa Kinder des Erdöl-Booms sind. Volle Demokratien gibt es bei uns in Europa erst seit sehr kurzer Zeit. In Frankreich durften Frauen 1945 das erste Mal wählen, in der Schweiz war es 1972, der Kanton Appenzell hat noch 20 Jahre weiter ausgehalten.

Durch das Erdöl – davor durch die Steinkohle – haben wir die Produktivität von menschlicher Muskelkraft abkoppeln können, haben viel produktiver arbeiten können, haben viel mehr Reichtümer anhäufen können, und jetzt sind wir buchstäblich in der Situation, dass wir an den Nebenfolgen unseres beispiellosen Erfolgs ersticken.

Ich möchte noch einmal zu diesem Satz „Macht euch die Erde untertan“ zurückkommen und wie aberwitzig und völlig wahnsinnig diese Ambition eigentlich ist, als kleines Säugetier sich zu denken, dass wir die ganze Natur unterjochen und ihre Prozesse bestimmen können. Aber wenn wir danach fragen, wie Zukunft geht, dann finde ich es eine interessante Frage, uns zu überlegen, was diese Idee eigentlich verdrängt hat, nämlich den Polytheismus.

Keine Angst, ich will nicht in der Mitte von Graz einen Zeus-Tempel errichten lassen. Aber die Idee, dass die Natur auf uns einen Einfluss hat; dass alles, was wir tun, wieder auf uns zurückfällt, das scheint eine ganz sinnvolle Idee zu sein. Die Idee, dass wir in einem großen System stehen und nicht an der Spitze des Ganzen und nicht außerhalb, erhaben über die Natur, sondern mittendrin. Das ist vielleicht eine moderne Übersetzung dieses alten Gedankens, dass uns die Natur in Gestalt vieler Gottheiten dauernd präsent ist.

Wir haben in der letzten Zeit eine Menge Lärm gemacht, aber es gibt uns erst seit 200.000 Jahren und wir sind immer noch nicht so wichtig wie zum Beispiel Algen oder Ameisen. Aber wir halten uns doch für wesentlich wichtiger. Wie wäre es, wenn wir unsere Zukunft damit anfangen würden, über uns selbst etwas anders nachzudenken oder sogar radikal anders nachzudenken? Nämlich nicht als „Herren“ der Schöpfung, sondern als ein kleines Tier in diesem unglaublich komplexen System, das seinen Ort in diesem System finden muss, denn sonst gibt es keinen Ort für ihn.

Ein relativ bekannter Mensch in diesem Land hat erst unlängst gesagt, wir können ja nicht gleich zurück in die Steinzeit gehen. Ich würde sagen, das Gegenteil ist der Fall. Wir werden gerade von der Natur zurück in die Steinzeit gedrückt. Wenn wir das überstehen wollen, brauchen wir die besten Technologien, die besten Ingenieure, die besten Wissenschaftler, um überhaupt eine Chance zu haben. Dies ist Fortschritt unter Zwang. Zukunft entsteht, wenn Gegenwart gestaltet wird. Dieses Gestalten ginge in diesem Land viel einfacher als in anderen Ländern.

Österreich hat den Luxus, nicht nur wegen seiner Energiesituation, sondern auch, weil es ein relativ reiches, gebildetes und kohäsives Land ist, tatsächlich innerhalb von zehn oder zwanzig oder dreißig Jahren völlig energieneutral zu sein. Österreich oder ein Land wie Österreich würde damit die Technologien und die Expertise schaffen, die bald darauf in der ganzen Welt verwendet werden.

Wenn wir wirklich in die Zukunft schauen könnten, dann gäbe es nicht nur Verzicht und keinen Urlaub und keine Autos mehr, sondern dann gäbe es tatsächlich die Möglichkeit und die Notwendigkeit, unsere besten Fähigkeiten einzusetzen, um zu sehen, dass wir unseren Kindern dieses Land auch weitergeben möchten.

Ein guter Freund von mir hat einmal einen Satz gesagt, mit dem ich Sie alleinlassen möchte, denn die Situation ist sicherlich ernst bis verzweifelt, aber dieser Freund, leider noch ein Philosoph, sagte: „Weißt du, für Pessimismus ist es ein bisschen zu spät.“ Insofern wünsche ich Ihnen ein schönes Festival und angeregtes Nachdenken.