Die Geschichte eines Millionärs im Rollstuhl und seines unkonventionellen Pflegers wurde vor zehn Jahren zum Überraschungserfolg an den Kinokassen. Die musikalischen Beiträge zu "Ziemlich beste Freunde", darunter der Ohrwurm "Una mattina", machten den italienischen Komponisten und Pianisten Ludovico Einaudi zu einem noch größeren Star, als er es davor ohnehin schon war.

2016 sorgte er für weltweites Aufsehen, als er seine "Elegy for the Arctic" auf einem Piano im Eismeer bei Spitzbergen spielte, um eine Greenpeace-Kampagne zur Rettung der Arktis zu unterstützen. 2021 räumten gleich zwei Filme, "Nomadland" und "The Father", in denen Einaudis Musik zu hören ist, bei den Oscars ab. Der 65-Jährige gilt als meistgestreamter Klassikkünstler aller Zeiten, auch wenn manche Kritiker sein Œu­v­re als "Kitschklassik" abtun.

Ludovico Einaudi in der unvergleichlichen Konzertarena am oberen der beiden Laghi die Fusine in der Nähe von Tarvis
Ludovico Einaudi in der unvergleichlichen Konzertarena am oberen der beiden Laghi die Fusine in der Nähe von Tarvis © No Borders Music Festival

Als kitschig geht jedenfalls das Ambiente durch, in dem Einaudi am Samstag im Rahmen des "No Borders Music Festival" aufgetreten ist: Am oberen der beiden Laghi die Fusine (Weißenfelser Seen), in der Nähe von Tarvis. Eingebettet zwischen mächtigen Nadelbäumen und Berghängen schimmert das grün-türkise Wasser. Auf der Wiese daneben wartet die Bühne auf den Poeten des Pianos. Dahinter türmen sich die schroffen, hellgrauen Felswände des Mangart-Gebirges auf.

Mit Strohhut und Sonnenbrillen setzt sich der Meister der Verführungskunst gegen 14.45 Uhr an den Flügel. Neben ihm seine treuen Begleiter an Cello und Violine. Leise, bedächtig, dann wieder stürmisch und laut. Ein ewiges Drehen und Wenden der Melodien, fließender Übergang von einem Stück ins nächste - und so dauert der eröffnende Klangteppich mehr als 20 Minuten. Die "Seven Days Walking" sind auf Wanderungen durch die italienischen Alpen entstanden.

Leichtigkeit trifft Melancholie

Die Leichtigkeit des Seins und schwere Melancholie gleichzeitig in Töne gefasst. Minimalistische Tonfolgen. Einaudi lässt mit seinen Klangbildern irgendwie die Wirklichkeit verblassen und umgarnt das erstaunlich junge Publikum mit seinen Kompositionen. Wohlklingend, aber wenig überraschend. Vieles wiederholt sich hier, manches ist schlicht und gleichförmig - als Gesamtkunstwerk funktioniert es trotzdem. Klassik mit Pop-Attitüde für jedermann.

Ein leichter Wind lässt die sommerliche Hitze erträglich werden, die Wolkenformationen rund um den Mangart werden dichter, ziehen dann aber weiter - so als würden auch sie den Meister huldigen. "Wir müssen auf die Natur achten", sagt Einaudi zwischendurch kurz. Die elf Konzerte seiner Sommertour spielt er inmitten der Natur, am kommenden Montag etwa auf dem 2275 Meter hohen Kronplatz in Südtirol. "Die Natur gibt mir manchmal mehr als alles andere."

Einaudi gilt als wichtigster Vertreter der New Classic, die klassische Musik mit Ambience und elektronischer Musik verbindet. Andere sehen ihn die Musik von Philip Glass oder Richard Clayderman verbinden und weiterentwickeln. Als es mit "Una mattina" und "Nuvole Bianche" besonders eingängig und melodisch wird, ist der Nachmittag nach gut eineinhalb Stunden auch schon wieder vorbei. Als Trost bleibt die halbstündige Wanderung durch den Wald zurück zum Auto, die hier obligatorisch ist. Am 30. Juli spielt Manu Chao am Lago di Fusine, am 31. Juli die legendäre Gianna Nannini.