Das Aufwachsen in einer Kommune mit ihrer Schwester und dem Alt-68er-Vater hatSaskia, genannt Sas, geprägt: So eine Familie will sie nicht. Mittlerweile lebt die rund 40-jährige verheiratete Juristin mit ihrem Mann und den zwei halbwüchsigen Buben im Häuschen mit Garten im Speckgürtel einer norddeutschen Stadt – in einem „Ort, der einmal ein Dorf gewesen war“, wie es immer wieder im Buch heißt. In Elternteilzeit, damit sie sich ihrem Traum vom Familienglück wie aus dem Katalog voll widmen kann.
Sas nimmt sich die Freiheit, es anders zu machen als ihre Hippie-Eltern: Die Mutter hat die Familie verlassen und starb früh, der Vater blieb alleinerziehend mit wechselnden Frauen an seiner Seite zurück. Er ist immer noch der Rebell mit grauem Pferdeschwanz, an ihm reibt sich die längst erwachsene, vernünftige Tochter, was bei einem Besuch des Vaters in der Provinz deutlich wird.

Aus mehreren Perspektiven werden die Leben von Hans und Saskia erzählt („Papa“ durften die Töchter ihn nicht nennen, das galt als spießig). Wie Nicola Kabel, im Hauptberuf Pressesprecherin der deutschen Grünen, das macht, ist sensibel, voller Zwischentöne und Sympathie für ihre Figuren.
Die Geschichte ist Doppelporträt und konfliktreich-liebevolle Vater-Tochter-Analyse zugleich. In Rückblenden werden Vergangenheit und Gegenwart raffiniert verknüpft, und es zeigt sich, dass Anpassung und Widerstand das Leben von beiden prägt – auf völlig gegensätzliche Weise.
Als Katalysator für die Offenlegung lange umgangener Familiengräben wirbelt der Protest gegen einen geplanten Windpark die Protagonisten durcheinander. Saskia engagiert sich in einer Bürgerinitiative gegen das Projekt vor ihrer Haustüre. Erst spät bemerkt sie den reaktionären Hintergrund des Vereins, der für den Heimatschutz eintritt. Da hat sich schon ihr Mann Christian von ihr entfernt und ihr Vater nur beißenden Spott und Kapitalismuskritik wie eh und je für sie übrig.
Nicola Kabel lässt thematisch an Juli Zehs Roman „Unterleuten“ denken. Doch in „Kleine Freiheit“ ist es vor allem das Psychogramm einer Familie, das die Autorin interessierte.
Die Politik ist zwischen diesem Vater und dieser Tochter immer an erster Stelle gekommen. Dass beide durch ihre jeweilige Sturheit einsamer und einsamer werden, steht als Erkenntnis am Ende des berührenden Debütromans, der leichthändig mit großen Fragen der Zeit jongliert.

Kleine Freiheit. C. H. Beck. 271 Seiten, 22,90 Euro
Kleine Freiheit. C. H. Beck. 271 Seiten, 22,90 Euro © Verlag