Rotterdam ist, wie in meiner Erzählung „Das Mädchen im See“ geschildert, meine „Auferstehungsstadt“: Dorthin führte mich die erste (Flug-)reise meines zweiten Lebens nach meinem Herzinfarkt, und Rotterdam war für mich der Beweis, dass ich noch lebte, dass ich nicht gestorben war und auch so bald nicht sterben müsste.

„Ich habe überlebt! – so weit weg von zu Hause, so weit weg vom Krankenhaus und von der Intensivstation. Im Flugzeug nach Köln, im Bus nach Rotterdam, bei der Stadtrundfahrt, am Hafen, auf der Erasmusbrücke, am Ufer der Maas, im Café Rotterdam, im De Kuip: Überall habe ich überlebt!“ Erasmus fiel mir in Rotterdam ein, weil sein Laus stultitiae („Das Lob der Torheit“) eine wichtige Lektüre meiner Studentenzeit gewesen war. Aber der Gedanke, dass Rotterdam auch eine Adresse der österreichischen Literatur ist, war mir bei der Stadtrundfahrt gar nicht gekommen. Was ich gesehen habe: Dass kaum eine europäische Stadt so vollständig zerstört worden ist wie Rotterdam. Dass weder das Rotterdam des Erasmus noch das Rotterdam des holländischen Oberösterreichers existiert und auch gar nichts mehr davon zu bemerken ist. Dass, wenn etwas völlig zerstört ist, es auch völlig neu gebaut werden kann – und muss. Eine Stadt hat freilich bedeutend mehr Existenzzeit als ein Mensch. Gefahren bin ich durch ein schier endloses Ensemble verglaster, verspiegelter Betonklötze, aber doch keine uninteressante Architektur, die diese Stadtgeschichte von Stirb-und-Werde erzählt. Die Stadt hat einen Geschichtsinfarkt erlitten, die Stadt war tot, jetzt lebt sie wieder.