Seit Monaten sind Theater, Kinos, Kabaretts und andere Veranstaltungsorte geschlossen. Die Coronapandemie und die Maßnahmen dagegen verhindern große Teile des Kulturbetriebs und treffen eine Branche hart, die schon in Normalzeiten zu großen Stücken in prekären Arbeitsverhältnissen lebt. Mit einer konzertierten Aktion haben sich nun 53 Schauspieler und Schauspielerinnen in Videos an die Öffentlichkeit gewendet, um ... ja um was eigentlich?

Zu oft wurde der Kulturbetrieb während der Coronapandemie ignoriert, wenn es um Öffnungsschritte und Perspektiven ging. Theater und Opernhäuser und Museen fanden sich auf der gleichen Ebene wie Bordelle oder Wettbüros. Oft genug hätte die gesamte Kulturbranche eine gemeinsame starke Stimme gebraucht, um sich Gehör zu verschaffen. Die Aktion #allesdichtmachenkönnte genau das sein - und ist stattdessen platter Populismus, der unter Applaus der AfD zum Griff ins Klo wird.

Kurze Videos und viel Gift

Just an jenem Tag, an dem in Österreich die 10.000 Person an und mit Corona starb, erdreisten sich respektierte Darsteller und Darstellerinnen wie Jan Josef Liefers, Ulrich Tukur, Heike Makatsch, Vicky Krieps aber auch Nicholas Ofczarek, Miriam Stein und Manuel Rubey zu einer Polemik, die keinem hilft. Ein Hantieren mit Halbwahrheiten, ein Kokettieren mit Coronaleugnung und der Versuch witzig zu sein, während man in alle Richtungen Gift spritzt. Die Intention, sich Gehör zu verschaffen, ist hier zu einem spektakulären, die Branche schädigenden Reinfall geworden.

Wie konnte das passieren? Jeder der Darsteller und Darstellerinnen lieferte ein Video bei Youtube ab. Was die Grundidee war, ist nicht schlüssig, weil eine gemeinsame Erklärung fehlt. Die Hashtags #allesdichtmachen, #niewiederaufmachen und #lockdownfürimmer müssen als Klammer genügen. In den Beiträgen wird gegen "die Politik" geschimpft, gegen "die Medien" polemisiert, gedichtet und Maßnahmen wie die Maske infrage gestellt. Alles unter dem Deckmantel der Ironie, der teilweise zum beißenden Sarkasmus wird und sich offenbar wahnsinnig gut in der Manier eines Wutbürgertum gefällt, statt konkrete Forderungen und Lösungsvorschläge zu formulieren.

Was es wirklich bräuchte

Der vielleicht größte Makel der Videos ist die Tatsache, dass der nachvollziehbare Frust und das berechtigte Interesse in eine Sackgasse kanalisiert werden. Hier erheben angesehene und auch in Coronazeiten gut gebuchte SchauspielerInnen ihre Stimme, und sprechen für sich - und nicht für jene freien KünstlerInnen (und alle peripheren Jobs, die damit verbunden sind), denen es in der Pandemie tatsächlich schlecht geht, weil Festivals und Konzerte abgesagt werden oder der Theaterbetrieb stillsteht. Der erhobene Verdacht der Wohlstandsverwahrlosung ist zu hart formuliert, zugleich geben die Videos wenig Anlass, dagegen zu argumentieren.

Die Interpretationen der Beiträge variieren in Niveau und vor allem  Stoßrichtung. Während Manuel Rubey trocken und sachlich auf die geschlossenen Kultureinrichtungen anspielt, versteigt sich die am längsten tätige "Tatort"-Darstellerin Ulrike Folkerts im Sprachspiel und spricht darüber, dass sie das Meer liebe und deswegen auch mehr Maßnahmen begrüße. Jan Josef Liefers lästert fragwürdig über Medien, denen er bewussten Alarmismus und Manipulation vorwirft. "Tatort"-Kollege FelixKlare erblödet sich in einem ironischen Video, die Coronamaßnahmen mit Gewalt an Kindern zu vergleichen. HeikeMakatsch tut so, als dürfe man dem Pizzaboten nicht mehr die Tür öffnen. NicholasOfczarek redet, als wären die Maßnahmen längst ein politischer Selbstzweck ohne jegliche gesundheitliche Notwendigkeit. 

Kabarettist und Schauspieler RolandDüringer kritisiert hingegen, dass in der Coronakrise der individuelle Körper zur öffentlichen Angelegenheit gemacht wird: Früher hätten gesunde Luft, Bewegung und gesunde Ernährung doch auch genügt, um gesund zu bleiben. "Selbst der Tod ist ja lediglich ein Fehler der Schöpfung", bemerkt er sarkastisch. Wer will, kann seine Aussagen so interpretieren, dass ein gutes Immunsystem gegen Covid-19 reicht - eine oftmals von Virologen widerlegte These. In ein ähnliches Horn stößt Schauspielerin MiriamStein: "Es kann nicht angehen, dass Menschen denken, sie seien gesund, nur weil sie keine Symptome haben." Am nächsten einer Problemlösung kommt - man kann es nicht anders sagen - die Berliner Darstellerin PeriBaumeister: "Ich bin Schauspielerin und ich rede gerne Blödsinn." Ihrer Branche, gerade den von der Coronakrise hart getroffenen freien Theaterschauspielern, haben sie und ihre 52 KollegInnen mit dieser Aktion einen Bärendienst erwiesen.

Kritik und Jubel und erreichte Mission

DarstellerInnen wie Elyas M’Barek oder Nora Tschirner kommunizierten schnell ihre Verwunderung und Empörung über die Aktion #allesdichtmachen öffentlich. "Make cynism great again", fragt Tschirner auf Twitter und vermutet, dass sich einige Beteiligte bald "ein büschn schämen" werden, ob der Videos. "Das ist doch Blödsinn", teilte M’Barek mit und fügte an, "mit Zynismus ist doch keinem geholfen." Auf der anderen Seite reagieren Coronaleugner, Coronaskeptiker oder die deutsche AfD euphorisch.

Wenn das das Ziel war, wurde es erreicht.