Bei den besonders empfehlenswerten Neuerscheinungen sind diesmal drei sprachmächtige Frauen am Wort: Jenny Offill hat mit leichter Hand ein gewichtiges Buch über das "Wetter" geschrieben, Laila Lalami zeigt im Roman "Die Anderen" unerschrocken Flagge, und Renate Silberer lädt heimtückisch lächelnd ins "Hotel Weitblick" ein. 

Wechselhaftes Wetter

"Beschlossen, dass die Erde dem Herrn gehört samt all ihrer Fülle; beschlossen, dass die Erde den Heiligen gegeben wurde; beschlossen, dass wir die Heiligen sind."

Dieses unglaubliche, irrwitzige Zitat, das die US-Autorin Jenny Offill ihrem neuen Roman "Wetter" vorangestellt hat, ist nicht erfunden, sondern stammt aus einer Puritaner-Versammlung in Connecticut aus dem Jahr 1640 und zeigt eindrücklich, dass selbstzerstörerischer Größenwahn kein Herausstellungsmerkmal unserer Zeit ist.

Literatur über den Klimawandel ist nicht neu, hat jetzt aber sogar einen eigenen Namen: "Climate Fiction". Doch was Jenny Offill aus diesem Thema macht, ist höchst originell in Form und Inhalt. Die Autorin aus Brooklyn hat nicht die x-te Dystopie geschrieben und Heerscharen von apokalyptischen Reitern ins Rennen geschickt, sie hat mit der Bibliothekarin Lizzie Benson eine literarische Figur geschaffen, die lebensnah agiert und durch das Dick und Dünn des Daseins galoppiert. So nämlich: Der Klimawandel und die Erkenntnis, dass es so nicht weitergehen kann, blitzen zwar immer wieder auf – werden aber schnell wieder von alltäglichen (Un-)Wichtigkeiten zur Seite geschoben. Kommt Ihnen bekannt vor?

Das spiegelt sich auch in der raffinierten Konstruktion des Romans wider. Das Buch besteht nur aus kurzen Absätzen, in denen Lizzie Benson durchs Leben hetzt. Vom Kinderzimmer zum Treffen mit dem betreuungsintensiven Bruder. Dann wieder ein kurzer Gedanke an schmelzende Polkappen. Im nächsten Absatz die abendliche Diskussion mit dem nervigen Ehegatten, dann einige Zeilen über linke Umweltaktivisten und ultrakonservative Verschwörungstheoretiker. All das kann man in einem Buch unterbringen – all das muss man in einem Leben unterbringen. Die Welt geht vor die Hunde, aber wir müssen noch vorher die Katze füttern.

Aber was hier leichtfüßig und höchst lesenswert daherkommt, trägt eine große Ernsthaftigkeit und Dringlichkeit in sich. Ein wichtiges Buch zur richtigen Zeit. Wir sollten es lesen, bevor der große Wetterumschwung kommt – Absatz für Absatz.

© KK

Buchtipp: Jenny Offill. Wetter. Piper, 217 Seiten, 20,90 Euro.

Die Fahne hoch

Als am 11. September 2001 in New York die Twin Towers fallen, geht der Mann aus Marokko, der mit seiner Familie seit mehr als 30 Jahren in den USA lebt, vor sein Haus und zieht die US-Fahne hoch. Er will damit zeigen: Wir gehören hierher, das ist auch unser Land. Wir gehören dazu und nicht zu denen, die den Terror ins Land gebracht haben. Jahre später wird der Mann unweit seines Hauses überfahren. Er stirbt, der Lenker flüchtet. Unfall? Mord?

Die Autorin Laila Lalami, wie ihre Romanfiguren aus Marokko, hat mit "Die Anderen" ein vielschichtiges und vielstimmiges Buch geschrieben, das das Geschehen aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Es erzählen: die Ehefrau, die Töchter, der Polizist des Ortes in der kalifornischen Wüste, wo die Familie glaubt, eine neue Heimat gefunden zu haben. Geschickt und nahtlos vereint Lalami Familien- und Verbrechensgeschichte und spürt die Risse zwischen den Generationen und den Kulturen auf.

Zwischen den Zeilen hat Laila Lalami ein hochpolitisches, engagiertes Buch geschrieben, das im Tarnkleid einer spannenden Kriminalgeschichte daherkommt, aber dadurch umso größere Wirkung erzielt. Auf subtile Weise legt sie Problemzonen frei und zeigt unerschrocken Flagge. Und wer trägt am Ende die Schuld, die Verantwortung? Natürlich die Anderen.

© KK

Buchtipp: Laila Lalami. Die Anderen. Kein & Aber, 430 Seiten, 24,90 Euro.
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Das Leben ist tschulpi

Irgendwo muss da ein Nest sein, denn in Österreich wimmelt es derzeit nur so von hochtalentierten Schriftstellerinnen, die mit einem Lächeln im Gesicht die Schreibfinger auf offene Wunden legen und lustvoll darin herumwühlen. Die Oberösterreicherin Renate Silberer ist so eine lächelnde Wühlerin und hat mit "Hotel Weitblick" einen Roman geschrieben, in dem sie uns auf höchst originelle Weise mitteilt, was wir ohnehin wissen, aber nicht hören wollen: Es geht alles zu schnell, es ist alles zu viel, uns geht die Luft aus, aber mit dem letzten Schnaufer sagen wir noch: Eh alles super. Geht schon noch.

Marius Tankwart, Dr. Marius Tankwart, erfolgreicher Consulter, hat das auch lange geglaubt. Bis sein Leben "tschulpi" wurde. Dieses Wort gibt es nicht wirklich, aber Tankwart verwendet es dafür, um damit auszudrücken, dass er zwar Angst hat vor dem Sich-näher-Kommen, aber trotzdem weitermachen wird. Oder besser: nicht weitermachen wird mit diesem Höher, Besser, Schneller, Reicher. Aber bevor Tankwart aussteigt, wohin auch immer, muss er in einem Auswahlverfahren unter vier Kandidaten jenen ausfindig machen, der für den Geschäftsführerposten einer Werbeagentur am besten geeignet ist. Und natürlich ist auch das Leben dieser KandidatInnen längst "tschulpi" – sie wissen es nur noch nicht.

Alle sind lädiert, alles ist Lug und Trug, die Menschen sprechen nicht mehr miteinander, haben aber dafür umso mehr Besprechungen und bilden Arbeitskreise. Renate Silberer rechnet bissig, höchst amüsant, aber nie naiv mit dem Turbokapitalismus und seinen Folgen ab. Ein Buch mit Weitblick, total "tschulpi" eben.

© KK

Buchtipp: Renate Silberer. Hotel Weitblick. Kremayr & Scheriau,
232 Seiten, 20 Euro.


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