Der Duden gibt für Österreich nichts vor. Der Sprachgebrauch in Österreich ist tatsächlich ein anderer als in Deutschland“, sagt Christiane Pabst, seit 2014 Chefredakteurin des Österreichischen Wörterbuchs (ÖWB), das derzeit in seiner 43. Auflage vorliegt. Heuer feiert das Standardwerk, das Generationen von Schülern begleitet hat, sein 70-jähriges Bestehen.

2022 erscheint die 44. Auflage, in der es ein eigenes Kapitel zu Empfehlungen zur geschlechtergerechten Sprache geben soll.
Grundsätzlich wird dabei die Empfehlung gelten, männliche und weibliche Formen zu nennen. Rund 4000 neue Begriffe kann man dann in der Neuauflage finden. Die „Gästin“ wird nicht darunter sein: „Die Aufreger im Duden sind ja weniger die Berufsbezeichnungen, die natürlich auch im ÖWB in weiblicher Form stehen, sondern ,Kunstwörter‘, die in femininer Form aufgenommen wurden, obwohl es sie im Sprachgebrauch gar nicht gibt“, sagt Pabst.

Die Diskussion um eine geschlechtergerechte Sprache läuft schon lange. Ob Genderstern oder Unterstrich, Binnen-I oder Doppelnennungen (Leser und Leserin) – die feministische Sprachkritik ist nach Jahrzehnten in der Gesellschaft angekommen: Frauen sollen nicht länger bloß mitgemeint sein, sondern in der Sprache sichtbar gemacht werden. Sagen die einen. Die anderen: Texte seien unleserlich bis unlogisch, wenn auf das generische Maskulinum verzichtet würde. Und außerdem gebe man traditionelle Wortbedeutungen auf.

Das generische Maskulinum, das auch von manchen Sprachwissenschaftlerinnen verteidigt wird, meint das grammatische (neutrale) Geschlecht, nicht das biologische. Als in der Grammatik festgelegte systematische Bevorzugung des Mannes sehen das die Sprachkritikerinnen. Hingegen gibt etwa die Mannheimer Linguistik-Professorin Angelika Wöllstein laut APA-Interview zu bedenken: Bei einer Durchsage im Zug „Ist ein Arzt an Bord?“ seien nicht nur männliche Ärzte gefragt. Dasselbe gelte für Wendungen wie „zum Arzt gehen“ oder „zum Bäcker gehen“. Lexikalische Informationen im Wörterbuch sollten solchen Beispielen nicht widersprechen, forderte Wöllstein.

Doch der Duden hält an seinem Kurs fest. Redaktionsleiterin Kathrin Kunkel-Razum: „Ein geschlechterübergreifender Gebrauch der maskulinen Formen, besonders im Plural, wird von der Redaktion auch weiterhin in Beispielen gezeigt. Allerdings gerät dieser Gebrauch immer stärker in die Diskussion, da oft nicht eindeutig ist, ob nur männliche oder Personen aller Geschlechter gemeint sind.“

Das Österreichische Wörterbuch begleitete Generationen von Schülern. Seine Chefredakteurin ist Christiane Pabst (47)
Das Österreichische Wörterbuch begleitete Generationen von Schülern. Seine Chefredakteurin ist Christiane Pabst (47) © Privat

Ihr österreichisches Pendant Christiane Pabst plädiert für genaues Hinsehen: „Der Duden sagt ja nicht, dass niemand mehr das generische Maskulinum verwenden dürfe.“ In der Aufgeregtheit der Gender-Debatte sieht sie eine Entlarvung der Gesellschaft: „Warum es so Wellen schlägt, ist die Tatsache, dass die Emanzipation in der Realität noch in den Kinderschuhen steckt. Jene, die sozusagen „sprachliche Genderpolitik“ betreiben, haben eine laute Stimme. Ebenso wie jene, die einem sehr konservativen gesellschaftspolitischen Modell anhängen. Die beiden krachen aufeinander, und es gibt einen überdimensionalen verbalen Schlagabtausch. Der Sprachentwicklung selbst ist das eher „wurscht“. Die Sprache entwickelt sich als Abbild der gelebten Realität.“ Und oft würden die professionellsten „Genderer“, die überall die Binnen-I-Schreibung verwenden, im Textzusammenhang zeigen, wessen Geistes Kind sie sind, wie weit weg von einer geschlechtergerechten Haltung.

Dass Frauen der Rede wert sind, betont seit Kurzem der ZiB-Moderator Tarek Leitner, der das Binnen-I auch in der gesprochenen Sprache verwendet und damit zu regen Diskussionen im Netz anregte. Die „Herrin“ über das ÖWB, Christiane Pabst, beobachtet den Sprachgebrauch in Österreich genau: „Ob Tarek Leitner es durchhält, grammatisch korrekt zu bleiben, finde ich spannend. Wie hält er es zum Beispiel mit der gesprochenen Binnen-I-Zäsur, wenn er „Ärztinnen und Ärzte“ ausdrücken will?“

Pro Gendern

Wider den Sexismus: Damit Frauen nicht mehr nur mitgemeint sind.

Das generische Maskulinum macht Frauen unsichtbar“, sagte die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch kürzlich in der „Zeit“. Die meisten Bezeichnungen für Frauen würden sich aus den Bezeichnungen für Männer ableiten (Lehrer, Lehrerin). „So wie die Frau im Patriarchat dem Manne untertan ist, so ist sie ihm auch sprachlich untergeordnet, denn ohne männliche Bezeichnung gäbe es viele der weiblichen nicht.“
Kathrin Kunkel-Razum, Duden-Redaktionsleiterin: Das generische Maskulinum, also die geschlechterübergreifende Verwendung der männlichen Form, sei nicht gestrichen, sondern lebe in den Beispielen zu den Worteinträgen weiter. „Wenn ich zum Beispiel sage: ,Ich gehe zum Arzt‘, dann kann das im allgemeinen Sprachgebrauch durchaus geschlechtsabstrahierende Bedeutung haben, weil die Praxis als Einrichtung gemeint ist.“
Damit Frauen nicht mehr nur neben den Männern mitgemeint sind, bieten sich neben Genderstern, Unterstrich und Binnen-I noch die Paarform an oder Wörter, die alles abdecken (Person, Publikum). „Die weibliche Form generalisierend zu verwenden, verschließt die Augen vor der gesellschaftspolitischen Realität und diskriminiert Männer und Diverse“, sagt Christiane Pabst.

Kontra Gendern

Planung statt Wandel: Sprachliche Strukturen sind historisch gewachsen.

Die Festlegung des grammatischen Genus Maskulinum auf das natürliche Geschlecht entspricht nicht der Systematik des Deutschen“, warnt laut APA die Sprachwissenschaftlerin Ursula Bredel. Wenn das Wort Mieter nur noch männliche Mieter bezeichne, erschwere dies auch die Bezeichnung diverser Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen: Die bisher häufige Bezeichnung Mieter (m/w/d) wäre dann nicht mehr möglich. „Es muss allen klar sein: Wer das generische Maskulinum ablehnt, kann viele Sachen einfach nicht mehr ausdrücken“, entkräftete auch der Autor Tomas Kubelik bereits vor Jahren Argumente der feministischen Sprachkritik. Sprachwandel werde oft mit Sprachplanung verwechselt.
Auf das Binnen-I solle verzichtet werden, weil es den Lesefluss hemme, forderte bereits 2014 Walburg Ernst, die Chefin des Komitees zur Regelung des Schriftverkehrs, was zu einer emotionalen Diskussion führte. Auch das generische Femininum (die Geisel) oder Neutrum (das Kind) schließe alle Geschlechter mit ein, betont der Klagenfurter Sprachwissenschaftler Heinz-Dieter Pohl, der sich an Orwells „Neusprech“ erinnert und das Gendern als „Neuschreib“ bezeichnet.