Still ist’s geworden. Die Winterabende 2020/21 verbringen wir einsam auf der Couch, anstatt uns in Konzerten und Ballsälen die Nächte um die Ohren zu schlagen oder uns über Theateraufführungen und Kinoabende die Mäuler zu zerreißen. Kunst und Kultur sind in der Pandemie zum Nebenschauplatz geworden. Produktion und Proben finden reduziert im Hintergrund statt. Das Publikum hat sich schon fast daran gewöhnt, nur noch virtuell an einem reduzierten Alternativangebot des Kulturlebens teilzunehmen.

Während im ersten Lockdown noch energisch die „Kulturnation Österreich“ beschworen wurde und in ihrem Namen die zuständige Staatssekretärin ihren Platz räumen musste, zeigte sich der Kultursektor am 100. Tag des dritten Lockdowns vergleichsweise unaufgeregt. Die Rufe nach Planbarkeit sind kaum noch zu hören. Die Konzepte vom Sommer sind wieder in Schubladen verschwunden. Und von der Krise als Chance, die einen zunehmend kommerzialisierten Sektor auf den Kopf stellen und zu neuen Perspektiven verhelfen könnte, ist auch keine Rede mehr. Hat es sich der Kulturbetrieb im Winterschlaf gemütlich gemacht?

Es ist wohl eher eine Mischung aus Akzeptanz und Resignation, die sich breit gemacht hat. Man wurde gehört. Gelder kommen, langsam aber doch, bei Kulturschaffenden an. Vereine und Institutionen kommen über die Runden, Mieten werden bezahlt, Kurzarbeit greift. Die zumindest oberflächliche finanzielle Stabilität (in einer ohnehin auf Ehrenamt und Engagement bauenden Branche) geht einher mit einem grundsätzlichen Mittragen der Maßnahmen. Innerhalb des Kunstbereichs gibt es ein Bewusstsein und Verständnis dafür, dass andere Bereiche der Gesellschaft, die ebenfalls seit langer Zeit stillstehen, Vorrang oder zumindest genauso Wichtigkeit haben. Die partiellen Öffnungen von Museen lindern außerdem scheinbar die akute Kunstsehnsucht.

Müdigkeit und Perspektivenmangel

Gleichzeitig mischt sich nach einem knappen Jahr Pandemie auch Müdigkeit und Perspektivlosigkeit in die Gemengelage. Es kostet Energie, sich täglich zu motivieren, während nichts und niemand signalisiert, gebraucht zu werden oder erwünscht zu sein. Selbst wer das Glück hat, von Förderstrukturen aufgefangen zu werden: Neue Projekte, Aufträge, Bookings, Kollaborationen entstehen in so einem Umfeld nicht, schon gar nicht international, und wenn dann nur unter sehr viel Idealismus und Risiko. Zum dritten Mal umplanen? Zum vierten Mal verschieben? Vielleicht doch besser stillhalten und abwarten.

Die Stille ist verständlich, aber es ist ein Fehler, sich kulturpolitisch darin auszuruhen. Klar, Künstler*innen werden überleben. Aber was wird es gekostet haben? Was wird auf dem Weg verloren gegangen sein? Viele Schicksale werden erst nach der Krise zutage treten.

Wer keine Lobby hat, wer durch Förderstrukturen fällt, ist vielfach unsichtbar. Das beginnt bei den Unternehmen, Vereinen und Menschen rund um den Kulturbetrieb, die künstlerische Arbeit und Veranstaltungen überhaupt erst möglich machen, und geht bis zu den jungen Künstler*innen, die unter den aktuellen Bedingungen gar nicht erst die Möglichkeit haben Fuß zu fassen.

Ausstellungsbeteiligungen und Konzerttourneen von noch wenig etablierten Künstler*innen stehen schneller auf der Kippe, werden seltener verschoben und eher ersatzlos gestrichen. Für die Künstlerinnensozialversicherung erfüllen sie oft noch nicht die Kriterien. Wo Gemeinschaften, Netzwerke und lokale Infrastruktur durch das Wegfallen von Akteur*innen nachhaltig beschädigt sind, wird es umso länger dauern, wieder loslegen zu können. Es wird ein Kraftakt werden, das Kulturleben aus dem scheinbaren Winterschlaf zu holen, noch dazu, wo das Ende der Pandemie nicht in Sicht ist. Denn den Tag X, an dem alles wieder „wie früher“ ist, wird es nicht geben.

Umso dringender also, darüber nachzudenken, wie wir uns Kunst und Kultur mittel- und langfristig vorstellen – abseits von Tourismus und Glamour, sondern als zentralen Teil unseres Alltags. Denken wir an das gemeinsame Experimentieren und Üben, die Erlebnisse und Momente, denken wir an den Mehrwert kreativen Austauschs in allen gesellschaftlichen Bereichen, vom Bauprojekt über das Kunstfestival bis zur Steuerberatung. Denken wir in Marshall-Plan-Maßstäben und stellen wir sicher, dass Kunst und Kultur das alles nach der Krise umso mehr leisten können, dass die Strukturen nicht verloren gehen oder gar ganze Generationen wegbrechen. So, wie es sich für eine Kulturnation gehört.

Teil eines solchen Plan könnte es sein, die Kreativfächer in den Schulen massiv zu stärken. Es könnte bedeuten, die Bundesmuseen zu öffnen und gratis zugänglich zu machen. Er könnte eine Musikschuloffensive beinhalten; eine Serie von Kunstprojekten im öffentlichen Raum; eine groß angelegte Neuauflage von Kunst am Bau-Projekten; die Förderungen von Produktionen frischer Absolventinnen; You name it. Wichtig dabei ist vor allem, einen Langzeitanspruch zu stellen und ihn in entsprechend großem Maßstab zu verankern. Kurzfristige Finanzspritzen löschen zwar die akuten Brände, bilden aber nicht das Fundament einer lebendigen Kulturlandschaft.

Dafür braucht es natürlich Geld, das knapp sein wird, aber noch viel mehr den Willen, kreatives Schaffen und künstlerische Auseinandersetzung ins Zentrum zu stellen. Viele der obengenannten Punkte existieren schon in der ein oder anderen Form, und wenn nicht, dann zumindest als Konzept. Selbst das aktuelle Regierungsprogramm liefert genug Anknüpfungspunkte, um solche Projekte in Umsetzung zu bringen. Die Ideen sind da, die Menschen sind da, die an einer solchen Strategie mitarbeiten müssten, gehen wir es an!

Wir merken gerade, wie leise es ist, ohne Kultur, wie sehr wir Kunst für das Miteinander brauchen, wie sehr wir sie als Impulsgeberin benötigen – gerade in herausfordernden Zeiten. Neue Ideen entstehen nur im Austausch. Es ist an der Zeit, über den tagespolitischen Tellerrand zu schauen und echte Perspektiven zu entwickeln, damit aus dem Winterschlaf kein Dornröschenschlaf wird.

*Martina Schöggl ist zwischen Blasmusikkapelle und Kirchenchor in der Obersteiermark aufgewachsen. Heute lebt die Kunsthistorikerin in Wien, wo sie als Büro des Rektorats der Universität für angewandte Kunst Wien leitet. Sie ist Mitgründerin des feministischen Frauen*netzwerks Sorority, Mitherausgeberin von “No More Bullshit. Handbuch gegen sexistische Stammtischweisheiten” und nebenberuflich als Kuratorin und Autorin tätig.