Sie haben ein Buch geschrieben. Es heißt „Es glaubt kein Mensch, was ein jeder Mensch glaubt, was er für ein Mensch ist“ und ist eine Verbeugung vor Ihrer „ersten großen Liebe“ Johann Nepomuk Nestroy. Wann sprang denn der Funke über?

MICHAEL NIAVARANI: Ein unaufmerksamer Schüler, der ich war, der so gut wie nie seine Hausaufgaben machte und nur ungern in die Schule ging, wurde plötzlich im Deutschunterricht mit Nestroy konfrontiert. Meine damalige Deutschprofessorin hat mich die Hauptrolle im Stück „Die schlimmen Buben in der Schule“ lesen lassen. Und dann saß da ein 13-jähriger Mensch vor seinen Mitschülern und seiner Lehrerin und konnte laut Sachen sagen wie: „Ich wär schon ein Knab’. Recht brav, aber ich hab’ fürs Erste kein’ Fleiß, weil ich so schon alles weiß.“ Oder: „Ich geh’ jetzt nicht mehr in die Schule, ich gehe jetzt in die Welt, weil die Welt ist die wahre Schule.“

Was bewirkten diese Sätze damals?

Ich konnte mit dem Segen der Lehrerin frech sein. Und ich hatte bemerkt, dass der Schüler in der Szene geprüft wird und nicht mit auswendig gelerntem Wissen, sondern mit seiner Lebensphilosophie und seiner satirischen Betrachtung der Welt antwortete. Das hat mich emotional in Beschlag genommen und unheimlich begeistert.

Und wie ging es weiter?

Ich habe mir die Gesamtausgabe von Nestroy gekauft. Das Geld dafür musste ich mir von einem Mitschüler borgen, weil ich mich nicht getraut habe, meinen Eltern zu sagen, dass ich mir um 3000 Schilling 15 Bücher kaufen will. In einem Sommer habe ich fast alle Stücke gelesen und bin in seine Welt eingetaucht. Das, was er seine Figuren sagen lässt, hat meine Lebenseinstellung geprägt, mich fasziniert.

Und es fasziniert Sie anscheinend immer noch.

Die Faszination ist ungebrochen. Ich verstehe viele seiner Aussagen, Pointen und Situationen jetzt noch besser und begreife auch, was für ein Genie der Mensch war und wie er das Handwerk der Komödie, die Sprache und das Politische beherrscht hat – in Zeiten der Zensur. Als man eigentlich nichts sagen durfte, hat er sogar sehr viel gesagt. Menschen haben darauf gewartet, dass er improvisiert.

Hat Sie Nestroy auch auf die Bühne gebracht?

Im Alter von 14, 15 oder 16 Jahren stand ich in Nestroy-Stücken auf der Schulbühne. Durch ihn bin ich überhaupt erst zum Theater gekommen. Mir gehen die Nestroy-Texte so einfach von den Lippen. In keiner einzigen Szene muss man sich fragen, was uns der Autor eigentlich sagen will. Es ist alles da, es steht alles drinnen.

Wie würde Nestroy wohl im Jahr 2020 Kritik an der Gesellschaft und an der Politik üben?

Er würde natürlich mit seinem Herzen und Hirn als zynischer Beobachter auf Netflix eine Serie nach der anderen schreiben. Oder vielleicht doch eher am Theater? Denn der direkte Kontakt zum Publikum war für ihn sowohl als Darsteller als auch als Stückeentwickler sehr wichtig. Ich traue es mich kaum sagen, aber ich denke, er würde Kabarett machen (lacht).

Wie sehr vermissen denn Sie als Kabarettist die Bühne und den Kontakt zum Publikum?

Ich habe im Sommer sehr viel gespielt und bin jetzt in Winterferien. Ich gehe ungern fort und treffe ungern Leute. Was ich vermisse, ist, dass ich selber absagen kann, wenn ich gefragt werde, ob ich im nächsten Monat acht Mal auftrete. Wenn mir plötzlich der Staat verbietet, zu spielen – obwohl ich den Lockdown für richtig und sinnvoll halte. Ich habe es ungern, wenn mir jemand verbietet, etwas zu tun.

Das Team von "Was gibt es Neues?"
Das Team von "Was gibt es Neues?" © ORF

Hat die Pandemie dieses Buchprojekt und die Vertiefung mit Nestroy beschleunigt?

Es ist durch Corona überhaupt erst ermöglicht worden. Sonst wäre ich auf der Bühne gestanden.

Nach Globe Wien und Kabarett Simpl haben Sie im Sommer das „Theater im Park“ mitinitiiert. Es wirkt, als sammeln Sie Theater?

Wir haben die angenehme Situation, Besitzer von drei Theatern zu sein, und trotzdem gerade nichts zu tun zu haben. Wir machen Multitasking – nämlich nichts auf mehreren Ebenen (lacht). Und daneben bereiten wir gleichzeitig für alle drei Häuser Programm vor. Die Simpl-Revue „Krone der Erschöpfung“ wird erst im Mai bei „Theater im Park“ aufgeführt werden. Und falls wir im Winter noch indoor spielen können, wird es spontane Programme geben, die in beiden Häusern stattfinden werden.

Wie unterhalten Sie sich als Experte im Lockdown?

Ich trinke viel: Kaffee, Tee, Wasser und gelegentlich Whiskey. Daneben lese ich viel, schreibe einen Roman und ein Theaterstück. Und wenn ich mich ablenken will, schaue ich mir auf Facebook Videos von Koch Roland Trettl und seiner Frau an. Und ich koche: manchmal zwei oder drei Mal pro Tag.

Spornt Sie diese Pandemie eigentlich an?

Der erste Schock im Frühjahr hat sich in Kreativität und Solidarität verwandelt. Wir haben uns mit anderen Kabarett- und Theaterbetreibern zusammengeschlossen. Der zweite Lockdown ist ein Betrübnis.

Warum?

Wir sehnen uns nach anderen Menschen und danach, ihnen wieder ins Gesicht zu schauen. Wenn wir es schaffen, trotz aller Widrigkeiten, Ängste und Sorgen diese geschenkte Zeit anzunehmen, als handle es sich um ein Sabbatical, das sich immer so viele von uns wünschen, kann man dieser Pandemie auch etwas Positives abgewinnen.

Ist es mit einem Kabarettisten im Familien- oder Freundeskreis eigentlich lustiger in diesen seltsamen Zeiten, weil es stete Privataufführungen und Entertainment gibt?

Ich bin nur lustig, wenn ich Geld dafür bekomme. Privatvorstellungen gebe ich keine. Aber: Wenn mir etwas Blödes einfällt, dann sag ich das natürlich. Und es gibt Situationen, in denen ich zum Beispiel acht Mal hintereinander aus dem Arbeitszimmer herauskomme, weil ich die Pointe, die mir eingefallen ist, sofort loswerden muss. Und das müssen sich die Familienmitglieder dann anhören. Das ist ein schweres Los. Viele Komikerfamilien sind mittlerweile wegen schlechter Witze zerrüttet.

Ein Kollege von Ihnen, Alfred Dorfer, hat mit „Le nozze di Figaro“ am Theater an der Wien seine erste Oper inszeniert. Schweben Ihnen denn weitere Grenzüberschreitungen vor?

Ich bin ja schon vieles: Kabarettist, Autor, Theaterleiter, ich schreibe Theaterstücke, bin Schauspieler und Fernsehkasperl. Ich habe das nie so empfunden, dass ich von etwas wegmuss, um etwas anderes zu machen. Ich habe die Abwechslung immer sehr genossen.
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