Das gelungene Isolations-Album von Taylor Swift

von Bernd Melichar

Üblicherweise werden Pop-Alben in einem strikt getakten Countdown in die Öffentlichkeit gehievt, doch US-Popstar Taylor Swift hat jetzt völlig überraschend ein neues Album veröffentlicht. „Folklore“ ist seit heute digital erhältich, die physische CD soll später folgen.

Nicht nur die Veröffentlichungspolitik ist außergewöhnlich, auch die Musik selbst. Swift, bislang eher für unbeschwerten Party-Pop bekannt, legt mit „Folklore“ ein feines, atmosphärisch dichtes Singer-Songwriter-Album vor, mit dem sie als Künstlerin eindeutig Konturen gewinnt. Motto: In der Ruhe liegt die Kraft.

„In der Isolation ging meine Fantasie mit mir durch und dieses Album ist das Resultat“, schrieb die 30-Jährige auf Twitter. Die 16 Songs habe sie während der Isolation geschrieben und aufgenommen, erklärte Swift. Dennoch habe sie es geschafft, dafür mit einigen ihrer „musikalischen Helden“ zusammenzuarbeiten: unter anderem der Band Bon Iver und Jack Antonoff, dem Sänger der Indie Pop-Band Bleachers.

Das Album beginnt mit „the 1“ - und gibt die Richtung vor. Zarte Pianoklänge, sparsame Streicher, dazwischen unaufdringliche Elektroniktupfer. Über all dem schwebt die glasklare Stimme von Swift, stets in Moll gehalten, doch immer das Schlupfloch der Hoffnung offen lassend. In den Songs erzählt sie nostalgisch-poetische Geschichten, die viel mit den Jahreszeiten und der Natur zu tun haben. Das mag jetzt kitschig klingen, ist es aber erstaunlicherweise nicht. Hier ist eindeutig eine Künstlerin am Werk, die in der Isolation gewachsen ist.

Taylor Swift gehört zu den erfolgreichsten Künstlerinnen der jüngeren Geschichte. Bereits ihr Debütalbum „Taylor Swift“ landete 2006 mit mehreren Singles in den US-Country-Charts, nach ihrem dritten Album „Speak Now“ war sie 2011 die finanziell erfolgreichste Musikerin – mit Einnahmen von über 35 Millionen US-Dollar.

Taylor Swift: "Folklore". Seit heute digital erhältlich.
Taylor Swift: "Folklore". Seit heute digital erhältlich. © KK

Hier kommt der feuertrunkene Ludwig!

von Martin Gasser

2020 ist Beethoven-Jahr und natürlich gibt es eine Vielzahl von Alben, die sich mit den Werken des Jubilars auseinandersetzen. Die harmonia mundi lässt sich nicht lumpen: heuer und 2021 erscheinen (und erschienen bereits) Neuaufnahmen von Beethovens Klavierkonzerten, der Missa Solemnis, von den Streichquartetten, den Cellosonaten, diversen Klavierwerken, der Oper "Leonore" sowie aller neun Symphonien.

Der Clou bei den Symphonien: Sie sind jeweils von Werken von Beethovens Zeitgenossen begleitet, die heute weitgehend vergessen sind. Die "Pastorale" kombinierte man mit Knechts "Grande Symphonie", die Symphonien 1 und 2 mit solchen von Carl Philip Emanuel Bach. Eine wunderbare Idee, die oft erhellende Bezüge erschließt: Das Genie Beethoven fiel ja nicht vom Mond, sondern war Kind seiner Epoche.

© harmonia mundi

Nun hat man den finalen Markstein veröffentlicht, die Symphonie Nr. 9, dirigiert von Pablo Heras-Casado und gespielt vom Freiburger Barockorchester. Das ist historische Aufführungspraxis at it's best. Ungezügelt und wild klingt die Symphonie, ohne steifes Pathos, sondern voll von jugendlicher Beseeltheit. So feuertrunken, so begeisternd hört man dieses vielgespielte Werk sehr selten. Hervorragend: die Bläser des Orchesters. In der historischen Aufführungspraxis wird die Klangbalance ja oft gerne zugunsten der Bläser zurechtgerückt (während im spätromantischen Klangideal die Streicher dominierten), die Musiker des Freiburger Barockorchesters nutzen eine solche Chance auf ideale Weise.Ludwig van Beethoven. Symphonie Nr. 9, Chorfantasie. Christiane Karg (Sopran), Sophie Harmsen (Mezzosopran), Werner Güra (Tenor), Florian Boesch (Bass), Kristian Bezuidenhout (Klavier), Zürcher Sing-Akademie, Freiburger Barockorcheser, Pablo Heras-Casado. Stream, Download und 2 CDs. harmonia mundi.

Das Wiener Fin-de-siècle im Schnelldurchlauf

von Martin Gasser

Früher hat man gern Gustav Mahler gegen Richard Strauss ausgespielt. Oder auch Richard Strauss gegen Arnold Schönberg. Solche ideologischen Grabenkämpfe zwischen Modernität (Schönberg) und Tradition (Strauss) waren musikalisch gesehen höchst fragwürdig - wurden aber in der Nachkriegszeit über Jahrzehnte hartnäckig geführt Nun wurde zum Glück längst wieder erkannt, wie sehr die Avantgarde der Atonalen und Zwölftöner sich auf die Tradition bezieht. Zwischen Schönberg und Brahms und Berg und Schubert bestehen enge Verwandtschaften. Zum anderen ist klar, dass Richard Strauss kein Nachlassverwalter der Romantik war, sondern selbst ein hochmoderner Komponist, dessen Ästhetik die Postmoderne vorwegnimmt.

© Deutsche Grammophon

Wer sich die Gemeinsamkeiten dieser Pole der Moderne vergegenwärtigen möchte, kann dies mit dem Album des Alban Berg Ensemble Wien tun. Das 2016 formierte Ensemble setzt sich aus Musikern des Hugo Wolf Quartett und seinen Freunden zusammen. Die sieben Musiker stellen das Adagio aus Gustav Mahlers Symphonie Nr. 10 der "Rosenkavalier"-Suite von Richard Strauss und der Kammersymphonie Nr. 1 von Arnold Schönberg an die Seite. Es ist ein spannender Einblick in die Hexenküche des Fin-de-siècle: voller expressiver musikalischer Exaltation, voller Farben und Düfte, und sehr durchsichtig. Die kammermusikalischen Bearbeitungen von solch oft üppig instrumentierten Stücken offenbaren die Schönheiten dieser Musik auf ganz andere Weise.Alban Berg Ensemble Wien. Mahler, Schoenberg, Strauss. Deutsche Grammophon. Download, Stream und CD.