Als sich Herr Park vor Ekel die Nase zuhält, brechen beim bisher dankbaren Herrn Kim alle Dämme. Im Garten des neureichen Park liegt ein ihm unbekannter Mann auf dem Boden, der über Monate kein Tageslicht gesehen hat und entsprechend stinkt. Kim, ein Kleinkrimineller, der sich und seiner Familie lauter Haushaltjobs bei den Parks ergaunerte, ist plötzlich empört. Er zeigt sich solidarisch mit diesem müffelnden daliegenden Mann, den er bis dahin für seinen Job im Hause Park noch betrogen hat. Die Situation eskaliert. Auf Naserümpfen folgt Amok.

Nicht nur an dieser Szene lässt sich erkennen, was den mehrfachen Oscar-Gewinner „Parasite“, der wohl schon jetzt bekannteste Film Südkoreas überhaupt, so besonders macht. Zwar könnte man sich fragen, was dieser Herr Park, der seine Hausbediensteten durchweg freundlich behandelt und den ganzen Film über nur auf Koreanisch spricht, mit Zuschauern aus Graz, Bremen oder Los Angeles gemein haben sollte.

Doch die Antwort ist nach wenig Nachdenken klar: nichts und trotzdem alles. Es ist ein Drama, das sich ganz genau so nur am anderen Ende der Welt zutragen kann, sich zugleich in jede Lebenswelt mit Leichtigkeit übertragen lässt. Denn wer hat die mangelhafte Durchlässigkeit der Gesellschaft noch nicht erlebt? Wer weiß nicht genau, was der Begriff Klassenkampf meint, auch wenn die meiste Zeit gar nicht gekämpft wird? Und wer hatte nicht schon mal arge Probleme, sich zusammenzureißen, wenn es irgendwo so richtig stank?

Regisseur Bong Joon-ho
Regisseur Bong Joon-ho © (c) APA/AFP/FREDERIC J. BROWN (FREDERIC J. BROWN)

Regisseur Bong Joon-ho erzählt solche universellen Fragen mit viel lokaler Couleur. Damit macht er weltweit auf die Filmbranche eines Landes aufmerksam, das vom internationalen Publikum schon viel zu lang vernachlässigt wurde. Denn aus Südkorea kommen nicht erst seit Kurzem Kulturschaffende, die es verstehen, grenzüberschreitend ein Massenpublikum zu begeistern. Und dies gelingt auch nicht nur im Kino. Wenn es um Erfolge auf den Bühnen, Leinwänden und Arenen der Welt geht, sind die Regisseure und Filmproduzenten eher Nachzügler.

Die internationalistischen Pioniere Südkoreas kommen aus der Popmusik. Seit Jahren versorgen Gruppen wie BTS, Exo und Big Bang die Hitlisten fremder Länder mit Chartbreakern. Sie sind so bekannt und beliebt, dass um sie herum ein Begriff entstanden ist, den man schon überall benutzt: „Hallyu“, was übersetzt „koreanische Welle“ bedeutet. Musikalisch handelt es sich um geschmeidig produzierten Pop, der sich die Sounds aus den weltweit beliebtesten Genres von Hip-Hop bis Elektro einverleibt, angereichert mit perfekt choreografierten Videos, dargestellt von makellos aussehenden Koreanerinnen und Koreanern.

Dabei hat schon das Aussehen dieser Darsteller etwas Besonderes, wenn man bedenkt, dass sie für ein globales Publikum produzieren. Sängerinnen wie BoA, die in den Nullerjahren rauskam, bemühten sich noch vermehrt, möglichst amerikanisch aufzutreten, damit sie auch außerhalb Koreas Anklang fänden. Doch während dies auf asiatischen Märkten durchaus funktionierte, wurde das Interesse einer größeren westlichen Öffentlichkeit kaum geweckt.

Der Sänger Psy dagegen, der 2012 mit seiner Neureichenparodie namens „Gangnam Style“ einen Welthit landete, trat im koreanischen Klischeelook prätentiöser Typen auf – die Hose etwas bunter, die Brille etwas runder. Auch BTS, Exo und Big Bang, die überwiegend auf Koreanisch singen, sehen zwar cool aus, aber eben nicht genauso, wie man es in anderen Ländern auch sehen würde. Diese Rezeptur, eine Kombination aus Universellem und Speziellem, hat in den letzten Jahren auch die Filmbranche vermehrt für ihre Werke verwendet.

„Oldboy“ von Park Chan-wook, der 2004 in Cannes ausgezeichnet wurde und als einer der einflussreichsten Filme des südkoreanischen Kinos gilt, wurde dafür ein Beispiel. Der Protagonist Oh Dae-su, der sich fragen muss, von wem er entführt und warum seine Frau ermordet wurde, durchläuft Probleme und Handlungsstränge, die man sowohl aus Kafkas Erzählungen als auch aus Hollywood-Actionfilmen kennt. Und dennoch wirkt dieser Film nicht wie eine Meisterprüfung nach westlichen Kriterien. Er ist seine eigene Erzählung.

Koreanische Filme unterscheiden sich von westlichen oft auch dadurch, dass sie angesichts schockierender Gewalt und grotesker Überhöhungen trotzdem nicht nach einer Auflösung per Happy End streben. Geschichten können in Katastrophen enden, was wiederum nicht heißt, dass dem Ganzen nichts Komisches oder Schönes abgewonnen werden kann. Das wiederum passt zur südkoreanischen Nationalgeschichte, die sich auch nicht wie der große Triumph erzählt. Das Land ist heute reicher als je zuvor. Aber von 1910 bis 1945 war es japanische Kolonie, kurz darauf folgte der Stellvertreterkrieg zwischen Nord und Süd, der zu einer starken Militärpräsenz in Südkorea führte. Bis heute sind Nord- und Südkorea getrennt formal im Kriegszustand.

Auch deshalb ist es kein Wunder, dass sich aus allen asiatischen Ländern gerade die koreanische Kulturbranche so gut auf dem Weltmarkt bewegt. Anders als China und Japan hat Südkorea mit seinen 52 Millionen Einwohnern nur ein begrenztes Inlandspublikum. Durch die Kränkungen der nationalen Seele über die letzten Jahrzehnte bemüht man sich zudem besonders, inländische Schöpfungen auch im Ausland anzupreisen. Dabei entsteht aber eben keine patriotische Folklore, wie „Parasite“, „Oldboy“ und all die Popsongs zeigen. Der nächste Exportschlager könnten, neben noch mehr Liedern und noch mehr Filmen, übrigens koreanische Soaps sein. In diversen asiatischen Ländern ist man schon begeistert.