Die Moderatoren Maria Köstlinger, Florian Teichtmeister und Peter Fässlacher (nach einem Skript von NicolausHagg) erinnerten eingangs daran, dass im ersten Jahr der Nestroy-Preise vor 20 Jahren mit Volkstheater-Direktorin Emmy Werner Wien eine einzige Theaterdirektorin hatte, und nun mit Volkstheater-Direktorin Anna Badora dasselbe der Fall wäre. "Im kommenden Jahr ist alles anders - da gibt es keine einzige Theaterdirektorin", hieß es.

Die Beste Bundesländer-Aufführung kommt aus dem SchauspielhausGraz. Dem Regisseur Jan-Christoph Gockel, der für "Der Auftrag: Dantons Tod" bereits 2017 den Bundesländerpreis geholt hatte, gelang dies auch mit dem u.a. fünf Wochen in Burkina Faso recherchierten und erarbeiteten Fortsetzungs-Projekt "Die Revolution frisst ihre Kinder!" Gockel nahm den Preis im Kreise seines Teams entgegen, bedankte sich für die Ermöglichung der außergewöhnlichen Bedingungen dieser Produktion und bei den Menschen in Burkina Faso für ihre Beispiele demokratischen Handelns.

Die erste Auszeichnung des Abends durfte der deutsche Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt entgegennehmen. Seine sich langsam und beständig am Bühnenportal vorbei bewegenden Bühnen für das Theater in der Josefstadt ("Der einsame Weg" von Arthur Schnitzler) und die Salzburger Festspiele ("Sommergäste" von Maxim Gorki) wurden mit dem Ausstattungs-Nestroy belohnt. Er widmete seinen Preis der Bühnentechnik der Perner-Insel und des Theaters in der Josefstadt, ohne die die permanenten Verwandlungen seiner Bühnenbilder nicht möglich gewesen wären.

Der Spezialpreis ging an "3 Episodes of Life" des schwedischen Künstlers Markus Öhrn, eine dreiteilige internationale Koproduktion rund um das #metoo-Thema, die bei den Wiener Festwochen im Studio Molière uraufgeführt wurde. Anhand der Grenzüberschreitungen eines Choreografen wird dabei eine verstörende Reise in die dunklen Abgründe von Kunst und Gesellschaft unternommen. Öhrn erinnerte in seiner Dankesrede an jene, mit deren Schicksal sich seine im vergangenen Jahr nominierte Produktion "Häusliche Gewalt" beschäftigt hatte, sowie an jene tapferen Künstlerinnen und Künstler, die zur Entstehung der #metoo-Bewegung beigetragen haben - eine Bewegung, die wieder in Vergessenheit zu geraten drohe. Die Täter, die zuerst geleugnet, dann sich vorübergehend versteckt hätten, würden sonst wiederkehren, warnte Öhrn.

Katharina Straßer bei der Verleihung.
Katharina Straßer bei der Verleihung. © APA/HANS PUNZ

Der Preis für die Beste Off-Produktion ging an die mehrteilige Theater-Sitcom "The Bruno Kreisky Lookalike" der Gruppe Toxic Dreams unter der Regie von Yosi Wanunu. Eine Werbeagentur nutzt einen Kreisky-Doppelgänger für ihre Kampagnen, bei denen der tote Alt-Kanzler so ziemlich alles an den Mann zu bringen versteht. Wanunu plädierte in seiner Rede für eine Öffnung des gesamten Nestroys für die Off-Szene, um sich nicht immer wie der verrückte Onkel fühlen zu müssen, der pro forma einmal im Jahr zum Weihnachtsfest eingeladen werde, und deklarierte, dass er nicht aus Unvermögen in der Off-Szene arbeite, sondern aufgrund einer bewussten Entscheidung.

Die versammelten Preisträger.
Die versammelten Preisträger. © APA/HANS PUNZ

Ex-Schauspielhaus-Darsteller im Fokus

Der bei einer Online-Abstimmung entschiedene, zum zehnten Mal vergebene Nestroy-ORF-III-Publikumspreis wurde heute bei der 20. Nestroy-Gala im Theater an der Wien nicht an Preisträger ThomasFrank vom Volkstheater, sondern an seinen Ensemblekollegen JanThümer überreicht. Frank spiele just an diesem Abend in Prag die Volkstheater-Produktion "König Ottokar", entschuldigte Thümer den Preisträger.

Thomas Frank (links) und war verhindert. Jan Thüer vertrat ihn.
Thomas Frank (links) und war verhindert. Jan Thüer vertrat ihn. © APA/HERBERT NEUBAUER

Bester weiblicher Nachwuchs wurde die 1989 geborene Salzburgerin Anna Rieser für ihre Darstellung der Grace in "Dogville" von Lars von Trier im Landestheater Linz. Eine technische Panne verhinderte zwar das Zeigen des entsprechenden Videoclips, dafür glänzte sie mit der bisher emotionalsten, persönlichen Rede: "I g'frei mi wahnsinnig", bekannte sie und sandte familiäre Grüße in alle Richtungen, von Gastein bis Saarbrücken.

Beim männlichen Nachwuchs wurde der 1992 geborene Wiener Regisseur Moritz Beichl für seine Inszenierung des Romans "Der Tag, an dem mein Großvater ein Held war" von PaulusHochgatterer am Landestheater Niederösterreich ausgezeichnet. Er hoffe, im nächsten Jahr auch noch den weiblichen Nachwuchs-Preis einheimsen zu können, sagte er und schloss ebenfalls familiär: "Mama, ich liebe Dich!"

Den Autorenpreis nahm SibylleBerg für ihr "Hass-Triptychon - Wege aus der Krise" entgegen, das als Koproduktion der Wiener Festwochen und dem Maxim Gorki Theater Berlin lediglich zweimal in Wien zu sehen war. Die Weimar geborene und in der Schweiz lebende Autorin hat kürzlich für ihren Roman "GRM. Brainfuck" den diesjährigen Schweizer Buchpreis erhalten. Sie habe eine 30-minütige Rede vorbereitet, sagte sie eingangs schmunzelnd, und musste während der zweieinhalb Minuten, die sie dann tatsächlich dauerte, auch mehrmals selbst lachen. Die Utopie eines antipatriarchalen, freien und kühnen Theaters, die sie entwarf, hatte sichtbar wenig zu tun mit der Realität des heutigen Theaterbetriebs - wie auch die zahlreichen Lacher im Publikum bewiesen.

Während Moderator Teichtmeister einen Spezialpreis für die unbekannte Darstellerin einer russischen Oligarchen-Nichte auf Ibiza anregte, lieferte die beste Darstellung einer Nebenrolle nach Ansicht der Jury EviKehrstephan. Sie wurde für ihr zwischen Servilität und Rebellion wechselndes Dienstmädchen Anna in "Biedermann und die Brandstifter" von Max Frisch im Volkstheater ausgezeichnet. "Dieser Preis geht auch ans Volkstheater", sagte sie und bedankte sich sehr bei ihrem Regisseur Viktor Bodo - und bei ihren Eltern.

Zur Besten Aufführung im deutschsprachigen Raum wurde "Dionysos Stadt" der Münchner Kammerspiele gekürt. Christopher Rüpings zehnstündiger Antiken-Abend war bereits zum Berliner Theatertreffen eingeladen - traditionell ein Adelsprädikat für Inszenierungen. Es sei zunächst ein sehr teures Experiment mit ungewissem Ausgang gewesen, sagte Rüping. Solche Experimente seien aber der Kern des Theaters.

Beste Schauspielerin wurde Volkstheater-Mimin Steffi Krautz, die sich mit ihrer originellen Darstellung der Blanche DuBois in Tennessee Williams' "Endstation Sehnsucht" u.a. gegen die kommende Salzburger "Jahrhundert-Buhlschaft" Caroline Peters durchsetzen konnte. "In einer Zeitung stand ja zu lesen, sie ist zu alt und zu wenig attraktiv für diese Rolle. Ich freu mich wahnsinnig, dass die Jury darüber hinwegsehen konnte", meinte Krautz und ließ eine Presse-Schelte folgen: So etwas schreibe man heutzutage nicht mehr - weder über Frauen noch über Männer. Besonders bedankte sie sich bei Regisseurin und Volkstheater-Direktorin Anna Badora, mit der sie seit 1998 ein Team sei. Auch in den vergangenen fünf Jahren habe man einiges gemacht - "nicht immer ist alles geglückt - aber das ist bei den anderen nicht anders." Dem künftigem Volkstheater-Chef Kay Voges wünschte sie "Arsch in der Hose und ein dickes Fell".

Den Nestroy-Preis als bester Schauspieler durfte sich der Deutsche Steven Scharf abholen. Er wurde für seinen Lucas in Simon Stones "Medea"-Version am Burgtheater und als Woyzeck in der ungewöhnlichen Burgtheater-Produktion des Büchner-Stücks ausgezeichnet und verlieh seiner geradezu unbändigen Freude in einer fast atemlosen Jubelrede Ausdruck: "Ich freu' mich tierisch!"

Der niederländische Regisseur JohanSimons wurde für diese "Woyzeck" -Inszenierung mit dem Regiepreis ausgezeichnet. "Mein Gott! Das habe ich überhaupt nicht erwartet. Das ist mein zweiter Nestroy! Mein Gott, ist das gut!", zeigte sich der Bochumer Theaterleiter begeistert. Es sei seine dritte "Woyzeck"-Inszenierung gewesen. "Die anderen beiden waren Scheiße." Diesmal habe er das Fragment Büchners auch als Fragment inszeniert - wie er übrigens auch die Welt zunehmend fragmentarisch wahrnehme. "Leute, ich freue mich total!"

"Woyzeck" setzte sich im Rennen der Favoriten mit zwei Preisen eindeutig gegen den Mitfavoriten "Liliom" durch. Die von Kornel Mundruczo inszenierte Produktion der Salzburger Festspiele war fünfmal nominiert gewesen und ging am Ende ganz leer aus. Im übrigen fiel jedoch der Preisregen im 20. Jahr der Nestroy-Verleihungen so gleichmäßig aus wie selten zuvor: Über drei Auszeichnungen (inklusive Publikumspreis) durfte sich das Volkstheater freuen, je zwei Auszeichnungen gingen an das Burgtheater und - nimmt man auch den Preis für das Beste Stück hinzu - die Wiener Festwochen. Je ein "Nestroy" ging an das Landestheater Linz, das Landestheater Niederösterreich, das Schauspielhaus Graz, die Gruppe Toxic Dreams und die Kammerspiele München, einen Preis (den für die beste Ausstattung) teilten sich das Theater in der Josefstadt und die Salzburger Festspiele.

Der letzte Nestroy, der am Sonntagabend überreicht wurde, war der Lebenswerk-Preis an die 67-jährige deutsche Regisseurin AndreaBreth, die bereits 2003, 2011 und 2016 Nestroys für die Beste Regie entgegennehmen durfte. Es gebe keinen richtigen Zeitpunkt für einen Lebenswerk-Preis, "aber besser zu früh als gar nicht", sagte Schauspieler Roland Koch als Laudator, der einen tiefen Einblick in die Probenarbeit mit der Regisseurin gab. "Spielende Dramaturgen sind wir alle..." Er bat darum, zur Feier des Tages das adjektiv brethisch für hartnäckig und klug in den Wortschatz aufzunehmen und meinte, man sähe sich später einmal sicher bei der Verleihung des Nestroy-Preises in einer neuen Kategorie, "dem Überlebenswerk".

"Ich wollte schon mit 14 Regisseurin werden", bekannte Breth in ihrer Dankesrede. Zu ihrer Zeit habe es weder Regieausbildungen noch Regisseurinnen gegeben. "Es war sehr schwer, sich als Frau in diesem Beruf durchzusetzen." Heute habe sie dagegen das Gefühl, "dass ich einer aussterbenden Species angehöre": "Die Kulturideale, an denen die Menschen früher Halt fanden, werden von Jahr zu Jahr kraftloser. (....) Wenn Kultur wegbricht, wird der Platz frei für Gewalt. (...) Dann wird es nur noch eine Generation von Idioten geben." Die Kunst sei die Seele der Welt. "Kunst darf kein Luxus sein, sondern eine Notwendigkeit."