Wegen angeblicher „Terrorpropaganda“ wurde der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel 2017 in der Türkei verhaftet. Sein Verbrechen: Er hatte, als Korrespondent der Zeitung „Welt“, über den Putschversuch 2016 gegen die Regierung Erdogan berichtet. Yücels Inhaftierung löste in Deutschland eine enorme Solidaritätsbewegung aus. Dennoch dauerte es ein Jahr, bis er wieder freikam. An diesem Donnerstag wurde das Urteil in Istanbul verkündet: Das türkische Gericht verurteilt Deniz Yücel zu zwei Jahren und neun Monaten Haft.

Der deutsch-türkische Journalist wurde wegen Propaganda für die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Vom Vorwurf der Volksverhetzung und der Propaganda für die Gülen-Bewegung sei der "Welt"-Journalist freigesprochen worden, sagte sein Anwalt Veysel Ok der Deutschen Presse-Agentur am Donnerstag.

Über die Qualen der Haft und sein Ringen um Freiheit hat Yücel im Vorjahr ein viel diskutiertes Buch verfasst: „Agentterrorist. Eine Geschichte über Freiheit und Freundschaft, Demokratie und Nichtsodemokratie“. Wir sprachen mit Deniz Yücel damals darüber:

Deniz Yücel und seine Frau Dilek am 16. Februar 2018 - dem Tag seiner Enthaftung.
Deniz Yücel und seine Frau Dilek am 16. Februar 2018 - dem Tag seiner Enthaftung. © APA/AFP/OZAN KOSE

Sehnen Sie sich nach dem Leben vor dem 25. Dezember 2016 zurück? Vor jenen Tag also, an dem klar wurde, dass es einen türkischen Haftbefehl gegen Sie gibt?
Deniz Yücel: Nein, das nicht. Das Leben ist ja auch sonst nicht immer vorhersehbar. Natürlich hat diese Geschichte mein ganzes Leben verändert, aber es war jetzt auch nicht so, dass sie nur mit schlimmen Sachen verbunden war. Die Unterstützung, die ich genoss, von meiner Frau, meinen Freunden, meiner Zeitung. Nein, ich nehme aus der Zeit auch viele schöne Sachen mit. Und wer weiß, ob mich meine Frau Dilek geheiratet hätte, wenn ich nicht im Knast gelandet wäre?

Wie agiert und überlebt man in dem System politischer und juristischer Willkür, das Sie erlebten?
Yücel: Ahmet Altan, der große türkische Schriftsteller und auch Journalist, der nun aus der Haft entlassen wird, sagte in seinem Verfahren: „Ich weiß, dass das Recht außer Kraft gesetzt ist, aber mir bleibt keine andere Wahl, als so zu tun, als gäbe es welches.“ Und das haben auch wir auf juristischer Ebene versucht. Zugleich habe ich versucht, mich als Mensch zu behaupten, in dem ich etwa im Gefängnis verbotenerweise Minze gezüchtet habe. Und wir haben politisch gekämpft.

Ihre Verhaftung zielte auch auf die Einschüchterung ausländischer Journalisten ab. War die türkische Politik damit erfolgreich?
Yücel: Soweit ich das aus der Ferne beobachten kann, hat es in dem Moment auf jeden Fall als Einschüchterung funktioniert. Wenn du Journalisten verhaftest, schränkst du nicht nur die persönlichen Freiheitsrechte dieses Menschen ein, sondern das wirkt immer auch abschreckend auf die ganze Gesellschaft. Das hat einen Effekt: Wenn sie sogar DEN verhaften können – wer weiß was die mit mir machen, wenn ich jetzt auf Facebook was schreibe.

Sie zitieren „Welt“-Redakteurin Silke Mülherr: „Deniz Yücels Stimme fehlt, sehr sogar. Aber schweigen war noch nie sein Ding.“ Sind Sie heute ruhiger, vorsichtiger?
Yücel: Nö. Ich bin auch im Knast nicht ruhiger geworden. Ich habe noch im Polizeigewahrsam, wo Papier und Stift verboten waren, versucht, mit Soße aus Essenskonserven zu schreiben, und habe – nicht mit der Soße – einen ersten Text verfasst und aus dem Polizeigewahrsam geschmuggelt. Auch danach im Hochsicherheitsgefängnis fand ich Wege, mich zu Wort zu melden. Ich wollte mich als Journalist nicht mundtot machen lassen. Zum anderen wollte ich – zum Spielball internationaler Politik geworden – nicht einfach untätig sein. Und das Dritte: Ich hatte sonst schlicht keine Möglichkeit, mich vor Gericht zu verteidigen. Das war ein Weg, mich an die Öffentlichkeit zu wenden.

Ihr Buch „Agentterrorist“ erschien mehr oder minder zeitgleich mit der türkischen Offensive in Nordsyrien.
Yücel: Das ist Türkiye. Wäre mein Buch wie geplant im Frühjahr erschienen, wäre es eben zur Bürgermeisterwahl in Istanbul erschienen. Irgendwas ist immer. Das ist ja auch einer der Gründe, so irrsinnig das klingt, warum ich als Journalist so gerne hingegangen bin: Da wird es einem nicht langweilig und du hast eine Redaktion in Europa, egal welche, die dir dankbar alles abnimmt und mehr will, als du liefern kannst.

Am Ende Ihres kürzlich erschienen Buches „Agentterrorist“ heißt es, Sie hätten es geschrieben, um all das hinter sich zu lassen. Können Sie damit überhaupt abschließen?
Yücel: Das ist nicht im Sinne von vergeben und vergessen gemeint. Ich habe das Buch aus zweierlei Gründen geschrieben. Der wichtigste ist, dass ich als Journalist gelernt habe: Gute Geschichten gehören ins Blatt. Und das ist eine gute Geschichte, selbst für türkische Verhältnisse eine außergewöhnliche, und es ist wert, sie zu erzählen. Der zweite Grund war tatsächlich eine Form von Selbsttherapie: Ich wollte meine Geschichte einmal am Stück erzählen, sie schreiben, daraus lesen und darüber reden. Das gehört für mich auch zusammen. Aber danach möchte ich das nächste Kapitel in meinem Leben aufschlagen.