Haben Sie überhaupt jemals mit Handke gesprochen?" Auf diese naheliegende Frage an mich gibt es kein klares Ja oder Nein. Ich habe oft gedacht und manchmal auch gesagt: Mit Peter Handke zu sprechen heißt für mich, seine Bücher lesen, und das habe ich in vielen Jahren immer wieder getan. Besonders bewegt war ich dabei durch das Buch "Wunschloses Unglück" aus dem Jahr 1971.

Als Kärntner Bischof habe ich oft das halb ruinöse ehemalige Prämonstratenserstift Griffen bei Völkermarkt besucht, mit seinen zwei zum Glück nicht ruinösen Kirchen und dem nahe gelegenen Grab der Mutter von Handke auf dem alten Friedhof. Der mir gut bekannte, auch kirchenkritische Text im genannten Buch über den Tod und das Begräbnis von Maria Handke ist mir dann jedes Mal in bewegende Erinnerung gekommen.

Im Rahmen des heute vorgegebenen Themas erscheint mir Handkes wiederholte und auch weithin bekannte Kritik an Erziehung und religiösem Leben im Tanzenberger Internat als bedeutsam. Er schränkt diese Kritik aber selbst immer insofern ein, als er in den sechs Jahren seiner Tanzenberger Gymnasialzeit geradezu ideale Bedingungen für seine lebensentscheidende Liebe zur Literatur hatte.

Nun soll über Handkes Religionskritik und ihre Wandlungen gesprochen werden. Die frühen Werke Handkes sind ausgesprochen religionskritisch, wobei Religionskritik aber nicht im Vordergrund steht, sondern in eine umfassende Sprachkritik eingebettet ist. In den Sprechstücken "Kaspar" und "Selbstbezichtigung" zeigt er den einzelnen Menschen als von Anfang an der strukturellen Ordnungsmacht von Sprache ausgeliefert und so seinem Innersten entfremdet. Der Gedanke, dass Religion den Einzelnen vor der Ausgesetztheit in der Welt und den gesellschaftlichen Zwängen schützen könnte, liegt Handke damals fern.

Der würdigende Blick

Handke hat den würdigenden Blick auf Menschen, die Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse wurden und unbeachtet am Rand der Gesellschaft stehen, stets behalten. Seine analytische Fähigkeit, zu zeigen, wie die Lebenswirklichkeit durch schematische Wahrnehmung und Beschreibung determiniert ist, wird später den Kern seiner Medienkritik ausmachen.

Handkes neue Erfahrung von Welt kommt als fragil und angefochten in der Tetralogie "Langsame Heimkehr", "Die Lehre der Sainte Victoire", im dramatischen Gedicht "Über die Dörfer" und in der "Kindergeschichte" zur Sprache. Im Lauf der Jahre hat sich auch seine kritische Distanz zu Religion gewandelt. Schon in der 1971 geschriebenen Erzählung "Der kurze Brief zum langen Abschied" - der Geschichte einer Ehekrise - lässt Handke seinen Ich-Erzähler sagen: "Die Religion war mir seit Langem zuwider, und trotzdem spürte ich auf einmal eine Sehnsucht, mich auf etwas beziehen zu können. Es war unerträglich, einzeln und mit sich allein zu sein."

Mehrere Spuren von Handkes gewandelter Auseinandersetzung mit Religion finden sich unter den Notizen in seinem Tagebuch "Das Gewicht der Welt", das die Jahre 1975 bis 1977 umfasst. Er hält darin fest, wie er immer wieder von Schrecken und Trauer über den Tod seiner Mutter eingeholt wird, von Todesängsten, Todessehnsucht und Sinnlosigkeitserfahrungen. Die religiösen Bezüge in Handkes Erzählungen und Tagebüchern nach 1978 gehen darüber hinaus. Handke will nicht mehr nur Schreckenserfahrungen der eigenen Existenz schreibend bewältigen, sondern einzelne, wenn oft auch nur momenthafte Erfahrungen von Glück, Freude, Zusammenhang und Sinn in Sprache fassen.

Der Reinigungsmoment

Das genauere Nachfragen nach Handkes Religiosität bleibt legitim, wenn es nicht einengend ist. In einem Interview weist Handke die Frage, ob er ein religiöser Autor sei, zurück, sagt aber dann sehr persönlich: "Wenn jemand sagt, er sei religiös, geht mir das auf die Nerven. Wenn er nicht erzählt, was das ist. Das Erzählen ist das Entscheidende. Wenn ich an der heiligen Messe teilnehme, ist das für mich ein Reinigungsmoment sondergleichen. Ich weiß nicht, ob ich an Gott glaube, aber an den Gottesdienst glaube ich."

Handke lässt die Kant'sche Frage, "ob ein Gott sei", in seinem Werk offen. Vielleicht steht dahinter die Entscheidung, einem Dilemma entgehen zu wollen: Der Glaube an einen jenseitigen personalen Gott könnte fragen lassen, ob dem Menschen dadurch die Freude an der Welt geschmälert und Todessehnsucht erweckt werden könnte.

Andererseits würde ein erklärter Atheismus eine Reduktion der menschlichen Existenz auf krude Faktizität ermöglichen. Wohl angesichts dieser zwei Möglichkeiten zu einem Wirklichkeitsverlust und nicht aus Gleichgültigkeit bleibt - so scheint es - für Handke die Frage nach Gott offen und er erfährt und schafft Kunst als eine Form, die dem Menschen Würde und Bestand in seiner stets angefochtenen Existenz gibt.

Der Text ist ein Auszug aus einem Festvortrag von Diözesanbischof Egon Kapellari beim interdisziplinären Symposium zu Peter Handke "Verwandeln allein durch Erzählen".