Es ist ein Untier zwischen Giraffe, Tapir, Walross und Pferd und aus seinen Nüstern dringt Wasserdampf - mit der Bronzeskulptur "Drittes Tier" (2018) heißt das Kunsthaus Bregenz seine Besucher am Vorplatz eindrucksvoll und "instagramable" zur diesjährigen Sommerausstellung willkommen. Der deutsche Bildhauer Thomas Schütte zeigt in Bregenz von 13. Juli bis 6. Oktober seine ganze Vielseitigkeit.

Das "Tier", eins von insgesamt vier, entstand aus Modelliermassefiguren, die er für seine Kinder herstellte und nach langer Zeit in einem Karton wiederentdeckte, erzählte der Künstler am Donnerstag bei einer Presseführung. Im Außenbereich um das KUB sind zudem zwei weitere monumentale Bronzen aufgestellt, beides heroische Männer, deren Beine allerdings im Matsch versinken. "Ohne ironische Brechung geht's nicht, obwohl: Man sollte in der Fußgängerzone keine Witzchen machen", befand Schütte. Die Lesart überließ Schütte dem Publikum, das sei ein Spiel: "Es muss in der Schwebe bleiben. Es ist Ihre Aufgabe, vorzuschlagen, wie man das lesen soll."

"Mann ohne Gesicht" auf dem Kornmarktplatz: In der Fußgängerzone sollte man keine Witzchen machen, findet Schütte
"Mann ohne Gesicht" auf dem Kornmarktplatz: In der Fußgängerzone sollte man keine Witzchen machen, findet Schütte © (c) Markus Tretter

Falsche Helden

Die Männerfiguren finden sich in kleinerer Form auch im dritten Stock des Kunsthauses, begleitet von drei "Mann im Wind"-Bronzefiguren, deren Heldentum ebenfalls schal geworden zu zerfließen scheint. "Sie sind vom Wind gebeutelt, wie wir alle", so Schütte dazu. Dazu stellte Schütte Aquarell-Porträts von "Blues Men" (2018), für die der Künstler Fotos vom PC-Bildschirm abmalte. Für Schütte lag die Spannung darin, "dass ein Drei-Minuten-Bild mit einer sechs Tonnen schweren Skulptur mithalten kann". Bei den "leichten Sachen" müsse man aber sehr viel mehr aufpassen, damit man nicht "ins Nichts abgleitet".

Ausstellungsansicht im ersten Obergeschoss
Ausstellungsansicht im ersten Obergeschoss © (c) Markus Tretter

Die Ausstellung sei "wie ein Regal aufgebaut", so KUB-Direktor Thomas D. Trummer, der die Ausstellung gemeinsam mit Schütte in der hölzernen, rot gestrichenen "Bibliothek" (2014/17) im Erdgeschoß vorstellte, die in ihrer Form an ein Trojanisches Pferd erinnert, mit einem Dach wie ein umgekehrtes Boot. Schütte im KUB zu haben, sei "ein ganz besonderer Moment". Die Ausstellung sei voller Energie und erzeuge einen gewaltigen Eindruck.

Blick ins Erdgeschoss
Blick ins Erdgeschoss © (c) Markus Tretter

Fake Flags

Ebenfalls zu sehen sind Keramik- und Muranoglas-Köpfe, die 2011 entstandenen Holzdrucke "Woodcuts" und die Keramik-Arbeiten "Fake Flags", die laut Schütte erstmals ausgestellt werden. Einer Deutung verweigerte sich der Künstler auch hier: Die Glasur der Nationenflaggen wirke darum wie verschmutzt, weil "ich aus Faulheit den Pinsel nicht ausgewaschen hab". Den "Fake Flags" sind liegende Frauenskulpturen aus Aluminium, Stahl und Bronze gegenübergestellt. Sie wirkten einerseits erotisch, aber auch verletzlich, verstümmelt, zu Torsi amputiert, so KUB-Direktor Trummer. "Die sind mir ein bisschen peinlich", so der Künstler dazu. Die Frauen seien "wie außerhalb von mir entstanden".

Diese auf Tonmodellen basierenden Figuren bildeten den Grundstock für Schüttes Sammlung in seiner Skulpturenhalle in Neuss (Nordrhein-Westfalen), die als Modell im zweiten Geschoß mit weiteren Architekturmodellen des Künstlers, anfangs "Skulpturenersatz", zu sehen ist. Es ist das einzige seiner Modelle, das bisher realisiert wurde. Im Kellergeschoß lagere dort seine Sammlung, so Schütte. Sich um das Lager zu kümmern, sei eine Möglichkeit, nach dem Tod nicht vergessen zu werden. Denn die in Bregenz gezeigten Arbeiten kämen fast alle aus dem Depot in Neuss - und so sei eine Ausstellung wie diese auch finanzierbar, erklärte der 1954 geborene Schütte, der auch einen Anfang der 1980er-Jahre entstandenen Entwurf für sein eigenes Grabmal zeigte.

Schütte drückte in Bregenz zudem seine Wertschätzung für das Handwerk aus. Material habe ihm noch nie Probleme bereitet, da er stets auf gute Leute setze, die seine Entwürfe verwirklichten. Gutes Handwerk werde immer weniger. Galerien seien vielfach heute keine Herstellungswerkstätten mehr, "das ist hier anders", lobte Schütte das Kunsthaus Bregenz. Die Ausstellungsgestaltung im KUB sei ihm sehr leicht gefallen, "weil das hier sakrale Räume, sakrale Felder sind", man müsse "praktisch nur eine Coladose in die Mitte stellen". Auf die Frage nach künftigen Projekten erklärte der Künstler, er wolle vor allem Aquarell, Lyrik und Zeichnung weiterverfolgen: "Alles läuft supergut, nur die Lyrik kommt im Moment zu kurz."