Es war zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht gut bestellt um das britische Königshaus: George III. endete in geistiger Umnachtung, Nachfolger George IV. war ein genusssüchtiger Dandy, und als der einfach gestrickte William IV. 1837 starb, hinterließ er keine männlichen Nachkommen. Die nächste in der Erbfolge war seine Nichte Victoria, die im Alter von nur 18 Jahren im Jahr 1838 den Thron bestieg. Was folgte – und damals niemand ahnen konnte –, war eine 63-jährige Regentschaft, im Zuge derer das Empire zur Weltmacht emporstieg. Victoria prägte nicht nur ein ganzes Zeitalter, sie gab ihm auch ihren Namen.

Später wird man sie „Großmutter Europas“ nennen, weil viele ihrer 40 Enkel und 88 Urenkel auf den Thronen des Kontinents Platz nahmen. Die junge Victoria war auf die Herkulesaufgabe nicht vorbereitet, hat ihre Unerfahrenheit aber mit Disziplin und Willensstärke gut ausbalanciert. Und sie hörte, auch das eine Stärke, auf (ausgesuchte) Berater. Zum wichtigsten wurde neben Premierminister Melbourne ihr Cousin, Prinz Albert von Sachsen-Coburg und Gotha; jener Mann, den sie 1840 auch heiratete und der ihr viel geliebter Gatte und Lebensmensch werden sollte.

Queen Victoria gab einer ganzen Epoche ihren Namen
Queen Victoria gab einer ganzen Epoche ihren Namen © APA/AFP/ADRIAN DENNIS (ADRIAN DENNIS)

Victoria brachte neun Kinder zur Welt, obwohl es hieß, dass sie keine Babys mochte und es hasste, schwanger zu sein. Gemeinsam mit Albert – viele Briten begegneten dem „Deutschen“ zunächst mit Argwohn – kittete sie das ramponierte Image des Königshauses und durchlebte mit ihm auch stürmische politische Zeiten: den Chartistenaufstand im eigenen Land, den Krim-Krieg gegen Russland, mehrere Anschläge auf ihr eigenes Leben. Das Doppelspiel mit ihrem „lieben Engel“ fand 1861 ein jähes Ende, als Albert an einer Typhusinfektion starb.

Die gebrochene Monarchin trug fortan und zeitlebens nur noch Schwarz und bekam den Beinamen „Witwe von Windsor“. In den darauffolgenden Jahren widmete sich Victoria nur noch der Würdigung des verstorbenen Gemahls. So ließ sie eine Konzerthalle nach Alberts Plänen vollenden und benannte sie nach ihm – die Royal Albert Hall. Jahrelang zog sie sich völlig von der Öffentlichkeit zurück. Ein schwerer taktischer Fehler, denn das Volk verlangte von seinen Monarchen zumindest Präsenz. Proteste wurden laut, sogar von einer Abschaffung der Monarchie war die Rede. Endlich, beim Goldenen Thronjubiläum 1887, zeigte sich Victoria den Schaulustigen, die Feierlichkeiten wurden mit großem Pomp begangen. Großbritannien war zu diesem Zeitpunkt ein weltumfassendes Imperium, zehn Jahre zuvor, 1877, war Victoria zur Kaiserin von Indien inauguriert worden.

Das Viktorianische Zeitalter steht für Moral, Sittsamkeit und Prüderie. Doch es gab auch einen doppelten Boden – und vieles spielte sich unter der Tuchent ab. Zum einen waren die miserablen Lebensbedingungen der Arbeiterklasse schwer mit der kuscheligen Häuslichkeit in Einklang zu bringen, zum anderen hatte die Sittsamkeit, auch jene der Königin, ihre Grenzen. Victoria starb im Alter von 81 Jahren im Osborne House auf der Isle of Wight. Beerdigt wurde sie in ihrem Brautkleid. In den Sarg gelegt wurden ein Abdruck von Alberts Hand und eine Locke von John Brown. Mit ihm, dem Jagdgehilfen ihres Gemahls, hatte sich die Königin – mutmaßlich – ihren Lebensabend versüßt.