Es wirkt fast so, als würde in der nächsten Sekunde ein Kreuzfahrtschiff das Gewirr aus Palmen und Hibiskus durchpflügen. Dabei steht es dort schon gut und gerne viele Jahrzehnte lang und ist kein Schiff, sondern ein Haus. Dass es einem Schiff ähnelt, ist aber kein Zufall: Die Symbolik des Aufbruchs ist ihm eingeschrieben, wie allen rund 4000 Häusern, die Tel Aviv zur „Weißen Stadt“ machen. Doch der Aufbruch war vielmehr eine Flucht: 1919 gründete der Architekt Walter Gropius in Weimar das Bauhaus. Eine Kunstschule mit der Vision, die Welt ein Stück besser zu machen.

Doch der Traum währte nur kurz: Während der Nazi-Diktatur mussten viele Mitglieder dieser richtungsweisenden Kunstschule fliehen. In Palästina fanden sie eine neue Heimat und entwickelten den Bauhaus-Stil unter Einfluss namhafter Architekten wie Le Corbusier und Erich Mendelsohn weiter. Den Geflüchteten muss es wie das Paradies erschienen sein: die Sonne, die Wärme, die Sicherheit. „Für die Menschen, die aus Europa kamen, war das ein ganz neues Lebensgefühl. Man brauchte sich als Jude nicht mehr zu verstellen“, erzählt Ebba Tate. Vor 41 Jahren ist die Deutsche der Liebe wegen nach Israel gekommen und führt Interessierte im Auftrag des Bauhaus Center durch die Nachbarschaft rund um den Dizengoff-Platz, der wie der Rothschild-Boulevard besonders viele Bauhaus-Häuser vorzuweisen hat.

Schiff oder doch Haus? Die Bauhaus-Architekten haben sich auch von der modernen Schifffahrt inspirieren lassen
Schiff oder doch Haus? Die Bauhaus-Architekten haben sich auch von der modernen Schifffahrt inspirieren lassen © Susanne Rakowitz
Sehenswerte Bauhaus-Architektur am Dizengoff Platz
Sehenswerte Bauhaus-Architektur am Dizengoff Platz © APA/AFP/THOMAS COEX

Beim Flanieren durch die Straßen erschließt sich Schritt für Schritt die typische Bauhaus-Architektur: Die Häuser sind asymmetrisch, es gibt keine Verzierungen, außer sie haben eine praktische Funktion. Der Balkon ist hier aufgrund des Klimas ein unverzichtbares Element.
Grundlage all dessen ist ein echter Bauhaus-Klassiker: das Stahlbeton-Skelett, das eine freie Anordnung der Innenräume ermöglicht. Daraus ergibt sich die Leitlinie, die berühmten drei F: Form folgt Funktion. Seit 2003 wurden große Flächen der Stadt von der Unesco zum Kulturerbe ernannt. Ein wichtiger Schritt, so Ebba Tate: „Die meisten Häuser sind in einem beklagenswerten Zustand.“ Rund 2000 der 4000 Häuser stehen mittlerweile unter Denkmalschutz.


Wer sich zur Sanierung entschließt, dem wird ein Architekt zugewiesen. Nur die wenigsten entscheiden sich für die radikale Variante: Rückbau auf den Originalentwurf mit zum Teil alten Materialien. Die meisten wählen eine Variante, die den Fokus auf den Erhalt der Fassade legt. Eine Variante erlaubt sogar einen Ausbau auf der Rückseite und eine Aufstockung. Diese Zubauten, die meist von der Eigentümergemeinschaft verkauft werden, finanzieren nicht selten die Sanierung, wie Tate erzählt.



Überhaupt gibt es in Sachen Bautätigkeit in Tel Aviv keine Pause: Kräne wetteifern mit Wolkenkratzern. Wo geht es hin? Nach oben: „Tel Aviv kann nur mehr in die Höhe wachsen, nicht mehr in die Breite“, so Tate. Dass die Mischung passt, dafür sorgt der Gesetzgeber, wie sie erklärt: Die Genehmigung für den Bau eines neuen Bürogebäudes bekommt hier nur, wer eines der alten Häuser saniert. Das ergibt eine Situation, von der nicht viele Städte berichten können: „Das sorgt dafür, dass sich unser Stadtbild laufend verschönert.“