Sie haben im März den Abschiedsreigen in München mit vier Premieren eröffnet. Wie ist es aus Ihrer Sicht gelaufen?
Martin Kušej: So wie es acht Jahre gelaufen ist, es war alles drin zwischen Aufregung und Erfolg. Wir haben ein paar umstrittene Premieren gehabt und ein paar richtig großartige Premieren. Es gibt jetzt noch keine großartig spürbare Zäsur. Momentan. Das wird sich gegen Ende der Spielzeit sicher ändern. Hie und da bin ich ein bissl wehmütig. Aber wir spielen noch bis Ende Juli, so möchte ich Worte wie Abschied oder Ende jetzt noch vermeiden.

In der FAZ gab es ein heftiges negatives Resümee. Der Kritiker nannte Ihren Abschied „desaströs“ und ist eine volle Breitseite gegen Sie gefahren...
Ich habe das gar nicht gelesen. Keine Ahnung. Meines Wissens hat der Kollege nur über eine der vier Premieren geschrieben. Und das ärgert mich dann schon: Wie jemand, der wahrscheinlich keine zehn Inszenierungen in den letzten Jahren bei uns gesehen hat, einen offensichtlichen Rundumschlag macht. Mir ist rätselhaft, weshalb das geschieht. Nutzt man uns, um sich selbst zu profilieren?

Was beschäftigt Sie jetzt in Wien? Außer das Abarbeiten von Interviewanfragen?
Natürlich beschäftigen mich im Moment vor allem die vielen verschiedenen Puzzleteilchen und Facetten der Vorbereitungsphase. Bevor es bei der Pressekonferenz Anfang Juni den Spielplan und alle Details gibt, möchte ich mit solchen Interviews aber auf die unbefriedigende Situation mit dem diffamierenden Gerede, den vielen Gerüchten und dem Gemauschel in Wien reagieren.

Alle 14 Tage gibt es Interviews mit Schauspielern, die sagen, es gehört zum Job, dass mit einem neuen Intendanten auch die Schauspieler ausgetauscht werden, aber der Ton sei, gelinde gesagt, sehr rüde.
Das sind eben reine Behauptungen, die ohne Möglichkeit zur Klarstellung aufgestellt werden. Zu den Schauspielern ist folgendes zu sagen: Ich habe an die 70 Gespräche geführt. Und zwar freiwillig, denn das müsste ich ja nicht. Ich könnte eine Nichtverlängerung der Verträge auch brieflich aussprechen. Aber natürlich habe ich ein Interesse daran, mit den Menschen zu sprechen und ihnen zu erläutern, was auf sie zukommt und welche Perspektiven es gibt oder nicht gibt. Ich kann mir nur einen einzigen Fall vorstellen, wo es vielleicht unbefriedigend verlaufen ist, da wurde die Erwartungshaltung dieser Person enttäuscht. Ich war in diesen Gesprächen immer ruhig, professionell und sachlich. Anderes lass ich mir auf keinen Fall andichten. Noch dazu gibt es zu jedem Gespräch ein Protokoll und einen Zeugen oder eine Zeugin.

Andrea Breth hat sich auf offener Bühne verabschiedet: Das wäre ihre letzte Inszenierung.
Das hat sie auch nur „behauptet“! Ich habe mit ihr nicht gesprochen und auch keine SMS geschickt, was auch kolportiert wurde. SMS zu versenden ist sowieso nicht meine Art. Sie hat bei mir in München inszeniert, sie ist eine, von mir geschätzte Regisseurin. Punkt. Ich habe halt andere Pläne. Auch Punkt.

Zum Programm gibt es keine Details. Werden Sie die Eröffnungspremiere inszenieren?
Nein. Ich sehe keine Notwendigkeit, mich in die erste Reihe zu stellen (Anm.: Die Gerüchtebörse meldet, dass Ulrich Rasche „Nathan der Weise“ inszeniert). Ich möchte hier Künstlerinnen und Künstlern etwas ermöglichen. Erst die dritte Premiere im Burgtheater werde ich selber verantworten. In meinem Vertrag steht, dass ich eine Inszenierung machen muss und ich könnte mir gut vorstellen, eine weitere zu machen. Als regieführender Intendant finde ich das wichtig, vor allem wegen der Arbeit mit dem Ensemble. Außerdem kann ich so die ästhetische Linie des Hauses mitgestalten.

Was haben Sie sich zu den vier Spielstätten überlegt?
Zwischen Burgtheater und Akademietheater gibt es für mich bei der inhaltlichen Herangehensweise keinen Unterschied, außer dass das große Haus auch die großen Bühnenbilder ermöglicht, während das Akademietheater intimer ist. Auch das Kasino ist eine enorm wichtige Spielstätte und war in den letzten Jahren ein wenig im Dornröschendasein. Karin Bergmann hat eine Schließung dankenswerterweise verhindert. Das Kasino ist ein wichtiger Ort, der sich eignet für experimentelle, avantgardistische Formate, mit denen wir schneller und spontaner auf gesellschaftliche Entwicklungen reagieren können. Ich wünsche mir, dass man dort jeden Tag hingehen kann, weil immer etwas los ist. Die tägliche Bespielung wird nicht so schnell umsetzbar sein wegen der finanziellen Beschränkungen, aber mittelfristig möchte ich das auf jeden Fall so verändern. Und im kleinen Theater im Vestibül liegt der Fokus auf der Beschäftigung mit dem Nachwuchs, auf Kinder- und Jugendtheater. Wir bringen aus München unser Konzept des Jungen Residenztheaters mit, mit dem wir das bereits sehr gute Angebot der „Offenen Burg“ ausbauen wollen.

Man hört, Sie bringen, zehn, elf Schauspieler aus München mit. Welche?
Das verrate ich heute noch nicht.

Wird es eigentlich eine offizielle Übergabe von Karin Bergmann an Sie geben?
Nein, das ist ein fließender Prozess. Unsere Proben beginnen natürlich bereits vor der Sommerpause. Offiziell beginnt mein Job am 1. September, die erste Premiere ist am 12. September, wir übernehmen etwa dreizehn Inszenierungen aus der laufenden Spielzeit. Erstens, weil ich sie gut finde und zweitens, weil wir sie fürs Repertoire brauchen. Und ich nehme auch ein paar Stücke aus München mit.

Die Sie auch nicht verraten...?
Nein, beflügeln wir die Gerüchtekultur.

Sie haben Veränderung, Irritation und Aufregung angekündigt. Und immer etwas Neues . Gibt es Theaterströmungen, die an der Burg vorbeigegangen sind, weil man das Haus konsolidieren musste?
Es gibt sicher dokumentarisches Theater à la Milo Rau oder Herangehensweisen wie die von Oliver Frljic. Solche Formen werden sicher eine Rolle spielen. Ich bin im Old School ganz sicher New School. Da präferiere ich bewusst wieder ein narratives Theater, weil ich glaube, dass die Ästhetik der Dekonstruktion und der Postdramatik das Theater in eine Sackgasse geführt haben. Und aus dieser Verfahrenheit muss man es wieder herauslocken. Dafür habe ich ein wunderbares Ensemble mit Schauspielerinnen und Schauspielern, die das auch alle wollen.

Das avisierte europäisches mehrsprachiges Theater... gilt das noch?
Natürlich. Mir ist klar, dass die radikale Umsetzung schwer möglich sein wird, aber wir müssen den Anfang machen. Wien ist eine vielsprachige, vielkulturelle Weltstadt, und es ist mir wichtig, diese Diversität auch ein Stück weit abzubilden. Es wird Ensemblemitglieder geben, deren Ursprung nicht deutschsprachig ist. Ich möchte da ganz Europa in unseren Blick nehmen und wirklich europäisch denken. Und ich möchte Europa nicht im EU-Sinne verstanden wissen, sondern in einem kulturellen, ideellen und sprachlichen Sinn. Ideell oder utopisch ist mir wichtig, weil ich nicht leichten Gewissens eine Lanze für die EU brechen kann. An der aktuellen europäischen Situation möchte ich schon meine Kritik anbringen.

Kulturminister Thomas Drozda hat Sie geholt, wie kommen Sie mit seinem Nachfolger Gernot Blümel aus?
Mit Gernot Blümel habe ich ein gutes, offenes Verhältnis. Ich freue mich auf den Moment, wenn ich ihm, exklusiv und vor der Pressekonferenz, unseren Spielplan vorstellen werde.

Zur Wiener Kulturpolitik. Der Ausschreibungsprozess für das Volkstheater wurde gestoppt. Wie wichtig ist es für die Burg, dass es das Volkstheater gibt?
Absolut wichtig. Wichtig ist auch die Frage, was man mittel- und langfristig mit einer solchen Institution vorhat. Wie finden wir Konzepte, um Theater auch noch in 30 Jahren zu machen und zu finanzieren?

Und das in einer digitalen Welt...
Wie gesagt: In manchen Punkten bin ich Old School. Mir ist der analoge Live-Moment wichtig, die echten Schweißtropfen und die Erscheinung des leibhaftigen Körpers. Auch da würde ich sagen: besinnen wir uns auf das, was unsere Stärke ist.

Noch zu einer anderen Leidenschaft von Ihnen: Was ist mit dem Kochen?
Ich komme selten dazu. Außerdem bin ich gerade auf Diät. Ich habe einen gesunden Ernährungsplan, damit ich kräftemäßig dieses Jahr überhaupt schaffe.

Angesichts der Aufgabe, die vor Ihnen liegt: Haben Sie manchmal Angst vor der eigenen Courage?
Nein. Ich bin ein Managerprofi geworden und bin es gewohnt, dass ich Probleme schnell und effektiv lösen kann. Aber es macht mich total wahnsinnig, wenn Probleme immer und immer wieder auftauchen. Das kostet Kraft, aber Angst habe ich davor nicht.