Wer ist PawloWirskyj? Wie lautet der lateinische Name für das Gänseblümchen? Welche Persönlichkeiten haben heute Geburtstag (alles Gute, MaritBjørgen)? Fragen, für die das Internetzeitalter mit Wikipedia eine zentrale Anlaufstelle hervorgebracht hat, und zugleich Fragen, die am heutigen Tage unbeantwortet bleiben könnten: Die deutschsprachige Seite der kollaborativen Enzyklopädie, die an einem Durchschnittstag 30 Millionen Mal aufgerufen wird, schließt für 24 Stunden ihre Pforten. Aus Protest gegen das neue EU-Urheberrecht, das kommende Woche im Parlament endgültig beschlossen werden soll und das Kritiker nicht weniger als das „Ende des freien Internets“ befürchten lässt. Befürworter sehen hingegen einen Schritt zu mehr Gerechtigkeit im Netz.

Die Fronten sind verhärtet, und das nicht erst seit heute. Zwei Jahre lang war die Reform des europäischen Urheberrechts verhandelt und von der intensiven Meinungsmache verschiedener Interessensgruppen aus Wirtschaft und Politik begleitet worden. Der vorläufige demokratische Durchbruch gelang im Februar durch eine Einigung im Trilog (Europäischer Rat, Parlament und Kommission) – damals begeistert vermeldet vom estnischen Digitalkommissar AndrusAnsip: „Die Europäer werden endlich moderne, dem digitalen Zeitalter angemessene Copyright-Regeln haben.“

Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) begrüßte den Kompromiss als „Frage der Gerechtigkeit“, ähnlich lautend Künstlervertreter wie die IG Autorinnen Autoren („Wendepunkt“) sowie die Verlegerverbände. Die vorliegende Richtlinie würde die Wettbewerbsbedingungen und die Vergütung für Künstler fairer gestalten. Netzaktivisten waren hingegen entsetzt und orteten unter anderem eine Einschränkung der Redefreiheit und eine Innovationsbremse. Den politischen Schlusspunkt der Diskussion setzt das EU-Parlament.

Hier finden Sie den gesamten Text zur EU-Urheberrechtsreform.

Die Streitpunkte: Artikel 11 und 13

Die neue Richtlinie umfasst ein ganzes Paket, Teil der öffentlichen Diskussion waren meist aber nur zwei Kapitel: Artikel 11 regelt, dass Verlage mitverdienen sollen, wenn ihre Texte von Suchmaschinen wie Google verbreitet werden. Artikel 13 legt fest, wer für Inhalte haftet, die auf Plattformen wie Youtube hochgeladen werden. Die große Änderung: Künftig ist nicht mehr der Nutzer, sondern die Plattform für Urheberrechtsverstöße verantwortlich. Das bedeutet im Umkehrschluss: Die Webseite muss Inhalte beim Hochladen, etwa mit Upload-Filtern, direkt überprüfen. Für den Wiener Urheberrechtsexperten Michel Walter der „einzige sinnvolle Schritt“. Kritiker, wie Wikimedia-Geschäftsführerin Claudia Garád (siehe Interview), erkennen darin eine Gefahr für die freie Netzkultur: „Die Befürworter des aktuellen Entwurfs verkennen, dass der größere Teil der Kreativität im Netz, vom Blödsinn bis zum Geniestreich, keinen Erwerbszwecken dient.“

Urheberrechtsexperte Walter sieht im Artikel 13 insgesamt einen „akzeptablen Kompromiss“, bei dem „für jeden etwas drinnen ist, womit er sich durchgesetzt hat, und etwas, womit auch die Interessen der Gegenseite berücksichtigt werden“. Skeptischer ist er in Bezug auf Artikel 11 und das Leistungsschutzrecht, das es auf nationaler Ebene in Deutschland schon seit einigen Jahren gibt. Die erwarteten Erträge für Verlage blieben aus: „Ich fürchte, aus Sicht der Presseverlage wird es auf europäischer Ebene auch nicht viel besser funktionieren als jetzt in Deutschland, wenn man davon absieht, dass ein harmonisierter Rechtsrahmen insgesamt die Position der Verlage stärkt.“

Michel Walter
Michel Walter © KK

Während die öffentliche Diskussion um den Urheberschutz hierzulande ein Nischendasein fristet, kocht sie in Deutschland regelmäßig auf – auch weil die Regierungsparteien im Koalitionsvertrag den Einsatz von Upload-Filtern als „unverhältnismäßig“ abgelehnt hatten. Proteste auf der Straße (im Netz sowieso) ließen die CDU unter dem Hashtag „NieMehrCDU“ zum Feindobjekt für Aktivisten werden. Im Zentrum der Kritik steht EU-Parlamentarier AxelVoss, dessen Beharrlichkeit ihm den Spitznamen „Vater der Upload-Filter“ einbrachte und der zuletzt mit einer Aussage für Aufregung sorgte, in der er die Daseinsberechtigung von Youtube in Frage stellt. 

Die Antworten auf die Anfangsfragen: Wirskyj ist ein ukrainischer Choreograf, der lateinische Namen des Gänseblümchens lautet „Bellis perennis“.