Frau Pluhar, am 28. Februar feiern Sie ihren 80. Geburtstag. Wie geht es Ihnen mit dem Jubiläum?
ERIKA PLUHAR: Mir ginge es ganz normal. Aber ich bin, immer noch, ein Mensch des öffentlichen Interesses und man schmeißt sich gerne auf diese runden Zahlen. Eine gute Bekannte hat gesagt: Komm, sei ruhig! Der Mensch braucht Rituale. So nehme ich das. Jetzt bin ich noch 79, wenn ich 81 bin und mich keine Krankheit ereilt hat, werde ich mich ähnlich fühlen: Schon alt, aber als Negativum sehe ich das nicht. Ich kann mein Leben mit einer großen Gegenwartsfreude verbinden.


Sie leben also in der Gegenwart?
Das ist mir wichtiger als in jungen Jahren, in denen man sagt: Später einmal kommt die große Liebe, das Glück. So mit der Zukunft zu hantieren, wäre nun unsinnig. Ich versuche, Gegenwärtiges wahrzunehmen, in der Natur, in einem Konzert oder in der Begegnung mit Menschen, die man Publikum nennt. Ich habe die Menschen vor mir und kann mit ihnen reden, wie mir der Schnabel gewachsen ist. Da habe ich im Alter an Freiheit gewonnen. Ich bin zu dem Ergebnis gelangt, dass ich mit Glück nicht mehr umgehe, das sucht man vergeblich. Die Leute wollen immer glücklich sein! Viktor Frankl sagt, es kommt nicht darauf an, dass man Glück hat, sondern weswegen man glücklich ist. Freude empfinden kann man mit 80 noch. Trotzdem gibt es eine Menge dieser Nie-Mehrs!


Bedauern Sie etwas?
Es gibt manches, von dem man sich verabschieden musste. Ein Abschied von etwas, das man liebte, ist immer mit Bedauern verbunden. Wenn ich jetzt jung wäre, würde ich überhaupt nur mehr Film machen.


Steht ein neues Filmprojekt an?
Wenn ich eines im Sinn hätte, wüsste ich, dass es dauert, bis man das Geld beieinanderhat. Wirklich gut wird ein Film nur mit Geld. Da sage ich: Nein! Erstens will ich mir meine letzten Jahre nicht mit Geldrangelei versauen. Zweitens kann ich nicht mit Sicherheit behaupten, dass ich in vier, fünf Jahren noch in der Lage bin, das zu leisten. Als Frau muss man sich von gewissen Dingen verabschieden. Nicht von der Sinnlichkeit, die soll man unbedingt bewahren.


Wovon denn?
Von Dingen, die einen in der Jugend nur gequält haben – diesem Liebesleben-Getue. Da hätte ich mir einiges ersparen können. Das ist mir beim Schreiben meines letzten Buches „Anna“ schmerzlich bewusst geworden: Was man sich mit Männern abstrudelt, anstatt sich aufs Wesentliche zu konzentrieren: sein Kind oder wie man leben will.

Erika Pluhar und der Adoptivsohn ihrer verstorbenen Tochter Anna, Ignaz, bei dem Filmprojekt "Sahara in mir"
Erika Pluhar und der Adoptivsohn ihrer verstorbenen Tochter Anna, Ignaz, bei dem Filmprojekt "Sahara in mir" © ORF


In „Anna“ verarbeiten Sie das Kindsein Ihrer Tochter, die 1999 37-jährig an einem Asthmaanfall starb. War Ihnen das ein Bedürfnis?
Das war plötzlich unerlässlich. Die Anna ist seit 20 Jahren tot. Ich schildere ihre Kindheit, wir haben später über alles gesprochen, sie war meine Gefährtin und Freundin. Mir war das Manko in meinem Muttersein immer bewusst. Das wollte ich analysierend beschreiben, der Prozess war schmerzhaft. Ich musste diesen steinigen Weg noch einmal durchwandern. Es ist mir aber gelungen, höre ich von vielen Seiten, Annas Vater Udo Proksch zu schildern, ohne ihn zu beschönigen. Anna hat diesen eigenwilligen Mann und schwer zu verdauenden Vater sehr geliebt. Die beiden hatten eine innige Beziehung, als er im Häfen war. Er ist nach ihrem Tod gestorben, es brach ihm das Herz.


Udo Proksch und André Heller: Ihre Ehemänner waren außergewöhnlich. Was einte sie?
Das habe mich auch oft gefragt: Erika, es ist wirklich komisch, dass ausgerechnet diese spektakulären Figuren deine Männer waren. Der eine ist schon tot, war im Häfen und ein Verbrecher. Der andere war ein Bürgerschreck und ist jetzt der heilige Heller – spirituell von Kopf bis Fuß. Als ich sie kennen- und lieben lernte, waren sie das noch nicht: Der Udo war ein Brillendesigner, er hat den Begriff des Designers erstmals plausibel gemacht. Der Franzi war ein DJ bei Ö 3, der mit seinem spärlichen Erbe einen Film mitfinanziert hat. Sein Erbe hat er verloren, dafür mich gewonnen. Und ich kannte nicht nur diese beiden Männer in meinem Leben.

"Ich kann Ihnen versichern, es wirkte nach außen abenteuerlicher, als es war", sagt Erika Pluhar über ihr Leben
"Ich kann Ihnen versichern, es wirkte nach außen abenteuerlicher, als es war", sagt Erika Pluhar über ihr Leben © Stanislav Kogiku


Ihr Leben gilt als turbulent.
Im Gegenteil: Ich war immer ein zurückgezogener Mensch, viel alleine, verantwortungsvoll für andere – und eigentlich alleinerziehend mit meiner Anna. Ich musste eine Haushälterin finanzieren, habe furchtbar viel geschuftet. Ich kann Ihnen versichern, es wirkte nach außen abenteuerlicher, als es war.


Obwohl Sie mit einem schwarzen Porsche durch Wien fuhren.
Das war damals wirklich eine Seltenheit. Man hat mich immer erkannt und ich habe auf der Windschutzscheibe dauernd Brieferln bekommen.


Sie wurden im Februar 1939 geboren, Monate später herrschte Krieg. Woran erinnern Sie sich?
An die Bombardierung von Wien kann ich mich noch genau erinnern: Wir haben in einem Keller, in dem es runterrieselte, Unterschlupf gefunden. Als wir rausgekommen sind, war alles zerstört. Von unserem Haus fehlte die Hälfte, unsere Wohnung stand irgendwie. Ich kann heute noch keine Sirenen hören, ohne dass sich mein Herz zusammenkrampft. Ich erinnere mich auch daran, dass ich mit meiner Oma, die in der Schlösselgasse wohnte, im Rathauspark war. Das Burgtheater war mit Brettern vernagelt und in desolatem Zustand. Meine Oma erzählte mir, dass sie als junges Mädchen dort war. Ich dachte mir damals, da werde ich einmal spielen.


Was Sie auch taten. Sie wurden direkt von der Schauspielschule ans Burgtheater engagiert, wo Sie 40 Jahre lang auftraten.
Für mich war das fast selbstverständlich. Ich habe nie das Vokabel Karriere benützt und nenne es bis heute mein Tun. Es hat sich eines organisch ans andere gefügt. Jetzt ist der Beruf schrecklich: Man muss Fotos posten und zu Castings gehen. Das musste ich nie. Und dafür, dass ich eine Stimme hatte, die die Menschen interessiert, kann ich nichts. Im Spital wurden die Babys en gros ihren Müttern zum Stillen zugeführt. Meine Mutter hat immer erzählt, eines der Babys hat tiefer gebrüllt als alle anderen – das war ich.


Wenn man sich alte Fotos von Ihnen anschaut, sieht man eine schöne, sinnliche Frau. Haben Sie sich selbst als schön empfunden?
Ich wurde so etwas wie schön. Als ich magersüchtig war, bestand ich aus Haut und Knochen. Meine Eltern waren verzweifelt, die hatten von dieser Krankheit keine Ahnung. Ich habe immer an mir herumgemäkelt. Jungen Frauen sage ich heute: Seid euch bewusst, dass ihr schön seid!


Schauspielerin, Autorin, Sängerin – welche Berufsbezeichnung bevorzugen Sie?
Am liebsten werde ich Autorin genannt, weil ich mich bei allem autorisiert habe. Für die Jüngeren bin ich eine Schriftstellerin, die wissen gar nicht, dass ich früher am Theater war. Schon am Gymnasium hat mich das Wort interessiert. Geschrieben habe ich immer und ich schreibe täglich Tagebuch. Nicht zur Veröffentlichung, sondern um meine Gedanken zu sondieren, nachzudenken, mit mir ein Gespräch zu führen. Den Verlust meiner Tochter hätte ich ohne die Möglichkeit, es in mein sogenanntes Klagebuch zu schreiben, nie überlebt.


Worauf sind Sie stolz?
Ich bin mit mir einverstanden – nennen wir’s lieber so –, nie Werbung gemacht zu haben. Jemand, der das macht, kann mir nichts Politisches oder Ethisches mehr sagen. Auch, dass ich nie eine Serienrolle übernommen habe. Das habe ich abgelehnt– wie die Buhlschaft, drei Mal. Das glaubt mir heute ja keiner mehr! Diese Idiotenrolle gilt zurzeit als riesengroßer Hype. Ich habe mich nicht vermarktet. Darum sagen manche, ich sei authentisch. Das mag ein missbrauchter Begriff sein, aber ich bin es vielleicht. Ich versuche, niemanden zu belügen – weder mit meinen Liedern noch meinen Texten.


Der SPÖ waren Sie dennoch stets verbunden.
Aber ich war nie parteipolitisch aktiv, obwohl ich das hätte sein können, man wollte mich einmal als Bundespräsidentin, einmal als Kulturministerin. Dass ich kurz nach der Nelkenrevolution in Portugal war, hat mich zu einem politischen Menschen gemacht. Ab diesem Zeitpunkt war ich bei Friedenskonzerten, wo ich gesehen habe, wie diese schnell von großen Firmen begleitet werden. Dann kam die Frauenbewegung, wo man auch gefährdet war, vereinnahmt zu werden. Ich hatte immer mein eigenes Frausein und meine eigene politische Haltung.


Wie sehen Sie denn die neue, erste SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner?
Als Erscheinung finde ich sie erfreulich und das bisschen, das ich mittlerweile von ihr gehört habe, gefällt mir. Aber ich denke: Das alte Modell der Sozialdemokratie ist nicht mehr handzuhaben, es hat sich zu viel verändert. Es bedürfte eines vollkommenen Um- und Vorausdenkens. Und das wäre, meiner Meinung nach, in einem sozialdemokratischen Umfeld besser zu lösen als bei den Konservativen. Konservativ heißt, ich bewahre. Ich bin auch eine Bewahrerin, wenn es darauf ankommt. Ich könnte zum Beispiel sagen: Ich bin schon alt, das geht mich nichts mehr an. Aber das kann ich nicht. Mir liegt am Menschen und an diesem wunderbaren Planeten. Und ich möchte, dass es das alles noch gibt, wenn ich nimmer da bin.


Wie sehen Sie das Frausein heute?
Ich bin nicht sehr positiv, was das Frausein auf Erden betrifft. Wenn der Tag der Frau kommt, denke ich immer, ja, du kannst hierzulande als Frau Bildung erlangen und in dem Beruf arbeiten, der dir vorschwebt. Und du kannst versuchen, dich zu verwirklichen. Ich wünsche mir aber, dass Frauen Menschen sein dürfen – mit allen Vor- und Nachteilen.


Es klingt nach einem Aber.
Schauen Sie sich doch auf der Welt um! Genitalverstümmelungen, Vergewaltigungen, Eingesperrtsein, Autofahrverbot. Die Gesamtsituation der Frauen auf Erden ist nach wie vor grauenvoll. Sie unterscheidet sich in keiner Weise von den Tieren. Im Gegenteil: Das Vieh wird oft sogar besser behandelt. Das kann ich nicht aus den Augen verlieren. Deswegen läge mir so daran, dass Frauen nicht so darauf achten, ob sie sich Botox spritzen oder ob sie dünn sind. Dieses Modeltum geht mir ja so auf die Nerven! Sie sollen Frauen sein. Sein, leben und lieben, wie und wen sie wollen. Aber sie sollen bitte nicht nur versuchen schön und dünn, sondern eigenständig und frei zu sein.