Er ist das personifizierte Anti-Mittelmaß. Einer seiner Lieblingsregisseure, Nicolas Stemann, nennt ihn einen „Triebtäter“. Kollegin Friederike Heller sagt: „Philipp vögelt den Text.“ Fällt sein Name, ist stets unbescheiden die Rede von Rampensau, Theatertier oder Körperterrorist.
Philipp Hochmair pafft in Lederjacke und weit aufgeknöpftem Hemd eine Zigarillo und antwortet nachdenklich auf Fragen. Ob er nach dem Sommer als hymnisch umjubelter „Jedermann“-Einspringer in Salzburg manchmal in „Jedermann“-Zitaten träumt? „Manchmal ist gut, eigentlich sogar immer.“ Er rettete die Festspiele, sprang für den erkrankten Tobias Moretti ein. Er war die einzige Option, da er vor fünf Jahren mit „Jedermann Reloaded“ sein eigenes Experiment über das Spiel vom Sterben des reichen Mannes startete. Ein apokalyptischer Monolog-Ritt, angetrieben von Riffs und Beats der Band „Die Elektrohand Gottes“. Nun erscheint das dazugehörige, wummernde Album.
„Ich saß in der Badehose in Dresden und wir haben für die Aufnahme des Albums gerade die Stelle mit dem Glauben besprochen – welche Stimme er hat, welche Tonlage, welchen Sound. Dann hat das Telefon geklingelt.“ Hochmair bricht – ohne lange Hose im Gepäck und in Sandalen – nach Salzburg auf. Rund 20 Stunden später ist es wahr, er steht als „Jedermann“ am Domplatz. Verdaut hat er das noch nicht. „Ich hatte noch keine Möglichkeit, das zu reflektieren.“ Von 130 Seiten Kritiken auf seinem Schreibtisch hat er keine gelesen. Darin stand, dass er die „Figur zum Lebemann par excellence“ mache. Dass dieser Jedermann mit ihm im Popzeitalter angekommen sei.
„Am Domplatz bin ich wieder zum Theaterschauspieler geworden“, sagt er. „Von null auf hundert.“ Er, der Mime mit dem herrlichen Irrsinn, der u. a. am Schauspielhaus Zürich, am Wiener Burgtheater und am Hamburger Thalia-Theater engagiert war. Er, der auf ein Repertoire von Hamlet bis Handke, von Woyzeck bis Jelinek, von Kafka bis Kane verweisen kann und 2014 ausgestiegen ist aus dem fest angestellten Betrieb. Seitdem dreht er. Und spielt. Und dreht. Er arbeitet daran, „klassische Texte, die vor allem einem elitären Publikum vorbehalten bleiben, einem großen Publikum zugänglich zu machen“.
"Ich borge mir die Oberfläche eines Rockstars aus"
Den Werther und seine Leiden verkörpert er schon 20 Jahre. „Ich wollte eine richtige Band haben, die mir eigene Räume schafft. Das Bühnenbild ist akustisch.“ So sei sein „Jedermann Reloaded“ entstanden. „Ich borge mir die Oberfläche eines Rockstars nur aus, um das zu erzählen.“ Betritt Hochmair eine Bühne, macht er sich den Text untertan. „Ich verinnerliche diese Texte so sehr, dass das was mit mir macht. Das ist wie eine Droge, das ist ein Rausch – dieses Formulierendürfen.“ Es gebe, so der 45-Jährige, nichts Ärgeres als den Mephisto von Faust. Er holt Luft und beginnt zu rezitieren: „Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeilen, in das Rollen der Begebenheiten ...“ Er springt auf, redet weiter. Ein wundersames Schauspiel, wochentags irgendwo in Wien.
„Ich hatte kein Schauspieler-Naturell.“ In der Schule sei er kein Klassenkasperl gewesen, er habe Schillers „Der Taucher“ auswendig gelernt oder Goethes „Der Totentanz“. „Was sich da an Atem und Selbstdynamik freilegt, ist faszinierend.“ Er denkt kurz nach. „Ich finde es lustig, dass sich diese Freude auch in den Joachim Schnitzler hineingetragen hat. Dass dieser so etwas Diabolisches bekommen hat“, sagt Hochmair. Die Rede ist von seiner Rolle im ORF-Hit „Vorstadtweiber“, wo er einen schwulen Politiker mimt.
Seitdem ist er einem breiten Publikum bekannt. „Schauspieler zu sein stand nie im Vordergrund.“ Sondern? „Kunst machen, malen, irritieren, etwas ausprobieren. Das ist mein Urinstinkt.“ Dass ihn plötzlich so viele Leute kennen, ihn anreden, sei „komisch“ und „eigenartig“ für ihn. „Ich habe jetzt nicht mehr Freunde als vorher, aber ich brauche im Moment mehr Freunde, die mir helfen, das zu verarbeiten.“
Platte hin oder her. Als Rockstar sieht er sich nicht. „Ich nehme mich innerlich anders wahr. Ich stelle mich für ein Projekt, einen Abend, eine Vorstellung zur Verfügung, dann steigt man in den Zug, biegt woanders ab und ist in einem ganz anderen Film.“ Seine nächste Station ist der Dreh zur Literaturverfilmung „Glück gehabt“ unter der Regie von Peter Payer. Davor präsentiert er das Album – am Burgtheater. „Auf die Platte bin ich wirklich stolz. Entstanden ist ein intimer Einblick – und großes Kopfkino.“