Wer sich als Regisseur Frank Wedekinds "Lulu" in der Originalversion verknöpft, bringt es locker auf eine vierstündige Inszenierung. Aber dieser Monsterbrocken trägt ja noch einen Untertitel: "Eine Mörderballade". Und diesen Zusatz nahmen die britischen Pop-Exzentriker The Tiger Lillies, musikalisch virtuos daheim in fast allen Gattungen, beim Wort oder besser: beim Ton. Die Band, einschlägig bekannt für ihren schwarzen Humor, den sie auch in ihren famosen Vertonungen von "Hamlet", "Woyzeck" oder ihrer weltweit gefeierten "Struwwelpeter"-Version unter Beweis stellte, schuf ein Stationendrama, das ohne Umschweife zum Kern vordringt: Machtspiele von geilen Lustgreisen und sabbernden Molchen, Spießbergertum - und der kurze Aufstieg und der tiefe Fall eines verlorenen, aber emanzipierten Menschenwesens.

Puppenhaus als Puff

Regisseur Markus Bothe verhift der vielschichtigen Musikvorlage im Grazer Schauspielhaus zu einem passenden Bühnen-Ambiente. Mit drastischen Überzeichnungen, reichlich viel Kunstblut, Menschenkarikaturen und einem stimmigen Bühnenbild (Alexander Corazzola) mit einem mächtigen Puppenhaus, das sich in ein Puff verwandelt. Nur knappe 80 Minuten dauert dieser entlarvende Gespensterreigen, musikalisch von Sandy Lopicic samt Live-Band exzellent umgesetzt, vom enorm motivierten Ensemble eindrucksvoll im englischen Original gesungen und pantomimisch unterlegt. Ein Wagnis, zweifellos, mitreißend in die Tat umgesetzt und vom Publikum mit großem, gebührenden Beifall bedacht.