Geboren im heutigen Moldawien, hatte sich Kira Muratowas Interesse am Film bereits in der Kindheit entwickelt: Ihre Mutter, eine Ärztin und hochrangige kommunistische Funktionärin, war nach dem Zweiten Weltkrieg in Rumänien für Filmpolitik mitverantwortlich. Muratowa, die bis 1987 rumänische Staatsbürgerin bleiben sollte und erst danach die sowjetische Staatsbürgerschaft annahm, wuchs nach einer Kindheit in Moskau in Bukarest auf. In den 1950ern zog sie wieder in die Sowjetunion, um an der renommierten Moskauer Filmhochschule WGIK Regie zu studieren.

Trotz ihres familiären Hintergrunds entwickelte sich ihre Karriere in der Sowjetunion schwierig. Bereits ihr in der Ukraine gedrehtes Erstlingswerk "Kurze Treffen" (1967), in dem sie neben dem Kultstar Wladimir Wyssozki eine der Hauptrollen spielte, sorgte für heftige Kritik aus Parteikreisen: Der Film, der gekonnt von einer Dreiecksbeziehung in der sowjetischen Provinz erzählt, kam zwar mit einer geringen Zahl an Filmkopien in den staatlichen Vertrieb, verschwand aber alsbald wieder aus den Kinos.

Ihr nächstes Werk "Lange Abschiede" (1971), das ebenso von zwischenmenschlichen Beziehungen handelte, schaffte es gar nicht mehr in die Kinos. Der Film wurde vom Zentralkomitee der kommunistischen Partei in der Ukraine offiziell verurteilt und kam erst 1987 auf die Leinwand. Man habe ihr erklärt, dass das ein kleinbürgerlicher Film sei, erinnerte sich die Regisseurin 2017 in einem Gespräch mit der APA. Die Behördenvertreter hätten es gleichzeitig jedoch nie geschafft, ihre Kritik genau zu formulieren. "Sie wissen, was das Problem ist, stellen Sie sich nicht dumm", sei ihr damals gesagt worden.

Nach einem jahrelangen Drehverbot fasste Muratowa Ende der 1970er im damaligen Leningrad Fuß und drehte zwei weitere Filme, die von offiziellen Stellen ebenso wegen mancher zu westlicher Details bekrittelt wurden. Ihren eigentlichen Durchbruch schaffte sich jedoch erst in der zweiten Hälfte der 1980er, als Michail Gorbatschows Politik von Perestrojka und Glasnost zu wirken begann. Nicht nur, dass ihr Frühwerk wieder ins Kino kam: Sie konnte wieder drehen und erlangte spätestens mit dem Spielfilm "Asthenisches Syndrom" (1989), der von schwierigen Lebenssituationen handelte, nicht nur in der Sowjetunion, sondern auch im Ausland Kultstatus. "Ich bin ein Kind der Perestrojka. Die Möglichkeit alles zu sagen, was ich wollte, war berauschend", erzählte Muratowa vergangenes Jahr.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde Muratowa ukrainische Staatsbürgerin, sie wirkte weiter in Odessa, wo ihr Schaffen nunmehr durch die Wirtschaftsprobleme der 1990er eingeschränkt wurde. Sie schaffte es jedoch, insbesondere auch mit Hilfe russischer Produzenten, zehn weitere Spielfilme zu drehen. "Passionen" (1994) oder "Drei Geschichten" (1997) beschäftigten sich erneut mit menschlichen Ausnahmesituationen, Filme wie "Tschechowsche Motive" (2002) offenbarten Muratowas Affinität zur russischen Literatur. Immer wieder setzte sie aber auch auf Odessaer Lokalkolorit: "Der Klavierstimmer" (2004) handelt etwas von einem Betrüger, der nur des Betrugs wegen betrügt. Besetzt mit Superstars der russischen und russischsprachigen Schauspielkunst, darunter Oleg Tabakow, Alla Demidowa oder Georgi Delijew, drehte sie 2012 mit "Die ewige Rückkehr" ihren letzten Film. Einmal mehr beschäftigte sie sich dabei mit zwischenmenschlichen Beziehungen. Sie sei einfach körperlich zu schwach, weitere Film zu drehen, begründete sie ihr Karriereende.

Nach der Annexion der Krim durch Russland 2014 stellte sich die Regisseurin unmissverständlich auf die ukrainische Seite, ihre traditionelle Skepsis gegenüber Politikern blieb jedoch aufrecht. "Der Krieg im Osten der Ukraine dauert zu lange, das hat einen ökonomischen Hintergrund. Ich glaube niemandem von diesem Politikern und habe deshalb begonnen, Bücher über die Antike zu lesen", sagte sie gegenüber der APA 2017 und übte gleichzeitig heftige Kritik an Petro Poroschenko. Der ukrainische Präsident war am Mittwochabend jedoch einer der ersten Politiker, der öffentlich kondolierte: "Es war eine große Ehre, gleichzeitig mit ihr gelebt zu haben", schrieb er auf Twitter.